Mord in Der Noris
stehen blieben, ging Paula ins Wohnzimmer und las der
Tatverdächtigen den Haftbefehl vor. Langsam, Punkt für Punkt. Dann setzte sie
sich auf das Ledersofa und bat die Ruckdäschel, auch »noch kurz Platz zu
nehmen«. Mechanisch kam diese der Bitte nach und starrte sie aus weit
aufgerissenen Augen an.
»Warum?«, fragte Paula.
Keine Antwort. Nur dieser angstverzerrte Blick in dem
nun fahlen, kalkigen Gesicht.
»Warum haben Sie Frau Platzer erstochen? War es wegen
des Geldes? Weil sie so viel hatte und Sie so wenig?«
Nach einer langen Weile schüttelte Melitta Ruckdäschel
den Kopf, erst zaghaft, dann ein zweites Mal entschiedener und mit Nachdruck.
»Nein. Ich war das nicht. Ich bringe doch nicht meine
eigene Schwester um. Die einzige, die ich habe. Mein eigen Fleisch und Blut
sozusagen. Ich hab ja sonst nur noch meine Tochter und meinen Enkel.«
»Doch, Sie haben Ihre Schwester, Ihr eigen Fleisch und
Blut, umgebracht. Und zwar aus einem ganz banalen Motiv heraus, dem der
Habgier. Sie brauchten Geld, und Frau Platzer hat es Ihnen nicht gegeben. Nur
deswegen.«
Paula hatte sich schon erhoben und war bereits an der
Balkontür angelangt, da hörte sie hinter sich Melitta Ruckdäschel sagen:
»Nein, das ist nicht wahr. Nicht deswegen, nicht nur«,
betonte sie, »deswegen. Elvira war meine Schwester, hören Sie? Meine Schwester.
Da hilft man doch, wenn es nötig ist. Unter Geschwistern. Und bei mir war es
und ist es nötig. Sie wusste doch ganz genau, wie es mir geht. Wie ich
finanziell dastehe. Dass die Bank meine Wohnung hier versteigern will und mir
auch kein Geld mehr leiht. Und dann hätte ich gar nichts mehr gehabt, gar
nichts, wenn es so weit gekommen wäre. Auf der Straße wäre ich gestanden. Ohne
alles. Und für sie wäre es so leicht gewesen, mir zu helfen. Sie hatte doch so
viel Geld. Aber sie wollte einfach nicht. ›Das schadet dir gar nicht, wenn du
dich mal einschränken musst‹, hat sie zu mir gesagt. Sie hätte sich in ihrem
Leben auch oft genug einschränken müssen. Das hat mir doch nicht geholfen. In
meiner Situation.«
»Also haben Sie als letzten Ausweg nur diesen Mord
gesehen und den Plan geschmiedet …«
»Nein, geplant habe ich es nicht. Das müssen Sie mir
glauben. Ich wollte einfach nur mit ihr reden, noch einmal in Ruhe mit ihr
reden an diesem Montagabend. Von Schwester zu Schwester, von Mensch zu Mensch
sozusagen. Aber die wollte mich erst gar nicht in ihre Wohnung lassen. Ich bin
aber trotzdem rein. Und dann habe ich halt …«
»… zugestochen«, ergänzte Paula. »Mit einem
Jagdmesser, das Sie von daheim mitgebracht hatten. Für alle Fälle, sollte es
mit der Unterhaltung von Mensch zu Mensch nicht so recht klappen. Woher haben
Sie eigentlich dieses Messer? Sie sind ja keine Jägerin.«
»Das war das einzige Geschenk, das mir Elvira die
ganze Zeit über gemacht hat. Das einzige. Und selbst dafür hatte sie keinen
Cent ausgegeben. Das hatte ihr Mann ihr überlassen, damals, als die beiden sich
getrennt haben. Der war ja Jäger.«
Dann sagte Melitta Ruckdäschel kein Wort mehr.
Widerstandslos ließ sie sich von den Polizisten festnehmen und abführen.
Paula ging in das kleine Schlafzimmer nebenan und sah
sich dort lange um. Schließlich trat sie auf den Balkon.
»Klaus, da hinten stehen die Schuhe. Ach, du hast sie
schon eingetütet. Ob die Baseballkappe, die Schlüssel und das Messer noch in
der Wohnung sind, kann ich dir leider nicht sagen. Die Ruckdäschel hat auf
meine Fragen dazu nicht mehr geantwortet.«
»Wenn noch etwas da ist, werde ich es finden. Ich hab
Klaus Zwo schon angerufen. Er wird in der nächsten halben Stunde da sein.
Morgen früh kriegst du Bescheid, ob wir fündig geworden sind.«
Als sie bereits an der Wohnungstür angekommen war,
machte sie abrupt halt, ging ins Schlafzimmer zurück und rief Eva Brunner zu
sich. Mit der rechten Hand zeigte sie auf die kleine Fotogalerie, die auf einem
Regalbrett neben einer Sammlung von winzigen Parfümprobefläschchen stand.
»Schauen Sie sich diese Bilder, besonders die zwei
hier, gut an.«
An der Ecke Spittlertorgraben/Mohrengasse, direkt
vor dem Turm der Sinne, verabschiedete sie sich von ihrer Mitarbeiterin,
nachdem sie sie gebeten hatte, morgen in Uniform zu erscheinen.
Weitere zehn Minuten später, und sie stand in ihrer
trockenblumen- und parfümprobenfläschchenfreien Diele. Sie behielt die Jacke an
und setzte sich, einem unwiderstehlichen Drang folgend, an den Küchentisch. Sie
blickte zwar aus
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