Mord in Der Noris
dem Fenster, vor dem sich die nun angestrahlte Burganlage
eindrucksvoll erhob, sah aber nur Elvira Platzer und Melitta Ruckdäschel in dem
mit Obstkisten vollgepackten Flur in der Eichendorffstraße. Die eine stumm,
abweisend und überheblich, die andere verzweifelt bettelnd mit dem Messer in
der Jackentasche.
In dem Moment spürte sie geradezu die provozierende
Herzenskälte der Altenpflegerin und wie sich der Jähzorn ihrer Schwester Bahn
brach, das Diagramm dieser unendlichen Wut zeichnete. Sie hörte den hässlichen
Satz »Das schadet dir gar nicht, wenn du dich mal einschränken musst«. Und sie
erkannte, noch immer wie blind aus dem Fenster starrend, die Tragik, die dem
Leben der Elvira Platzer schon vor ihrer Geburt eingeschrieben war. Schließlich
riss sie sich aus diesen trüben Gedanken und stand auf.
Als sie die Jacke an den Garderobenhaken hängte, hatte
sie das Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben. Nach einer Weile fiel es
ihr ein, was dieses wichtige Etwas war. Sie hatte heute entgegen aller
Gewohnheit auf den obligaten Gang in den Keller verzichtet. Und dabei würde es
auch bleiben, beschloss sie und lobte sich sogleich für ihre enorme
Selbstbeherrschung. Schließlich wartete im Kühlschrank noch der Rest der
Würzburger Scheurebe auf sie.
Sie stellte sich an den Herd, setzte einen Topf
Salzwasser auf, gab dann die Spaghettini hinein, rieb den Parmesan und nahm
immer wieder einen kleinen Schluck aus dem Weinglas. Und als sie sich Stunden
später satt und ziemlich nüchtern in ihr noch ungemachtes Bett legte, fühlte
sie sich nicht nur rechtschaffen müde, sondern war mit sich und ihrem Leben im
Reinen.
10
Auch an diesem Mittwochmorgen umgab sie die
süße Vorahnung des Frühlings, der bald kommen wollte. Heute würde sie, da war
sie sich sicher, den Fall Platzer zu Ende bringen. Diese Zuversicht, vermengt
mit der prickelnden Luft, stimmte sie heiter.
Als sie die Eichendorffstraße auf der Suche nach
einem Parkplatz entlangfuhr, sah sie den Polizeiwagen direkt vor dem Heim
stehen. Im eingeschränkten Halteverbot. Das mussten die zwei Kollegen von der
Inspektion Ost sein, die Heinrich ihrer Weisung entsprechend einbestellt hatte.
Sie überlegte noch, ob sie die Kollegen auf einen legaleren Parkplatz
umdirigieren sollte, entschied sich dann aber dagegen. Manchmal konnte einem so
ein silbern-grünes Auto von Nutzen sein. Genau wie die Dienstmontur ihrer Begleiterin – Frau Brunner war ihrer gestrigen Bitte nachgekommen und in Uniform
erschienen. Sie wendete und stellte ihren ebenfalls silbern-grünen BMW direkt dahinter.
»Guten Morgen, Frau Steiner«, begrüßte sie ein
gedrungener Polizist mit kurzem Bürstenhaarschnitt. Dieses ungesund rote
Gesicht hatte sie doch schon einmal gesehen … Neben ihm stand eine blutjunge
Frau mit blondem Pferdeschwanz. Nach einer Weile konnte sie den
Bürstenhaarschnitt zuordnen – dieser Kollege hatte vor einer Woche vor der
Platzer’schen Wohnung Wache gestanden.
»Herr Bartels hat uns nicht gesagt, worin unser
Einsatz hier besteht. Was erwarten Sie von uns, Frau Steiner?«
»Zunächst einmal: Präsenz zeigen. Wenn wir Sie
brauchen, wird Frau Brunner Sie zu dieser Befragung hinzuziehen.«
Auf seinen fragenden Blick fügte sie hinzu: »Genaueres
kann ich Ihnen leider im Moment auch nicht sagen. Das wird die Befragung
ergeben.«
Dann drehte sie sich um und betrat die Lobby des
Seniorenstifts. Am Tresen blieb sie stehen und nickte Frau Striegel zu, die
sofort von ihrem Stuhl aufsprang und sich ihr mit besorgtem Gesicht näherte.
»Guten Morgen, Frau Steiner. Sie wollen doch sicher
mit mir sprechen?« Es klang wie »Nicht Sie schon wieder!«.
»Nein, ich müsste noch einmal mit Herrn
Schneider-Sörgel reden. Es gibt da noch ein paar Unstimmigkeiten.«
»Dann bitte ich ihn herunter. Sie können sich gerne in
unserer Cafeteria unterhalten.«
»Danke, aber wir gehen lieber nach oben.«
Als sie den Treppenabsatz erreicht hatten, hörte sie
im Hintergrund Frau Striegel sagen: »Frau Steiner wird Sie jetzt gleich
aufsuchen, Herr Schneider-Sörgel. Nur dass Sie Bescheid wissen und sich darauf
vorbereiten können.«
Diesmal erwartete sie der Künstler nicht an seiner
Appartementtür. Sie klopfte und musste eine Weile warten, bis sich die Tür
öffnete. Schneider-Sörgel gab sich überrascht, als er sie sah, zu überrascht
für die telefonische Ankündigung durch die Verwaltungsleiterin. Und er sagte,
was Frau Striegel sich gedacht, aber nicht
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