Mord in Der Noris
dieser Halbschwester zu versprechen.«
»Ja, das tue ich. Denn erstens ist sie gelernte
Krankenschwester und kennt sich daher mit der menschlichen Anatomie aus. Und
das zweite Indiz ist die Baseballkappe, auf die sie Zugriff hatte. Oder siehst
du das anders?«
»Sie ist keine Jägerin. Sie hatte keinen Brillantring
im Ohr, als ihr sie besucht habt. Das hast du mir selbst erzählt. Von einem
Nicker auch weit und breit keine Spur. Findest du da die Indizienlage nicht
etwas dürftig, Frau Hauptkommissarin?«
»Nein, ganz im Gegenteil. Finde ich nicht. Und darum
werden wir sie uns jetzt gleich noch mal vorknöpfen. Wir alle drei.«
»Ja, wenn du dir so viel davon versprichst, da wäre es
doch besser, ich besorge uns vorher noch einen Durchsuchungsbeschluss.«
»Hm, ich weiß nicht. So hoch wiederum will ich es auch
nicht aufhängen.«
Sie dachte einen kurzen Moment nach und ergänzte dann:
»Außerdem halte ich gerade für diese zweite Vernehmung eine andere Strategie
für geeigneter. Ja, für wesentlich zielführender. So, ich gehe schon mal vor.
Ich erwarte euch am Hinterausgang.«
Als kurz darauf die komplette Kommission 1 vor
dem Spittlertorgraben stand, sagte Heinrich in süffisantem Ton: »Darf ich
fragen, wie deine zielführende Vernehmungsstrategie aussieht? Damit ich mich
innerlich schon darauf einstellen kann, sollten wir diese Melitta jetzt
antreffen. Was ich übrigens bezweifle. Die wird auch nicht immer daheim sein
und auf Besuch von der Polizei warten.«
»Die schaut so aus, dass wir ihr ein paar Fragen
stellen. Dann sehen wir schon weiter, wie sie darauf reagiert. Da müssen wir
eben flexibel sein.«
»Aha, flexibel«, wiederholte Heinrich. »Weißt du,
wonach das für mich klingt, Paula? Stark nach Verletzung der
Dienstvorschriften. Nur nebenbei, für meine Angina Pectoris wäre so etwas das
pure Gift, Stress ist für mich ganz schlecht. Der Bauerreiß wird dir das sicher
bestätigen können.«
Wieder sprang die Haustür auf, kurz nachdem sie
geläutet hatte. Melitta Ruckdäschel trug wie bei ihrem ersten Treffen den
blauen Nicki-Hausanzug, aber ein viel kräftigeres Make-up und vor allem – einen
Brillantstecker im linken Ohr. Beim Anblick dieses Schmuckstücks, das selbst
hier in dem trüben Hausflur wie eine ganze Glühwürmchen-Kolonie funkelte und
glitzerte, hatte Paula die nahezu vollständige Gewissheit, dass vor ihnen die
Messermörderin von Elvira Platzer stand. Und dennoch – fehlte ihr dafür nicht
die Leidenschaft, die eine solche Tat erst möglich macht?
Sie verzichtete darauf, diesen Gedanken fortzuspinnen,
und zwang sich zu Besonnenheit. Nachdem sie und Heinrich nebeneinander auf dem
Zweiersofa mit dem schwarzen Lederbezug Platz genommen hatten, eröffnete sie
die Partie. In den vergangenen wenigen Sekunden hatte sie sich hierfür eine
Überrumpelungstaktik zurechtgelegt, die die hübsche Blondine möglichst schnell
schachmatt setzen sollte. Ein klassisches Gambit war also Paulas Eröffnungszug.
»Sie werden sich vielleicht wundern, dass wir schon
wieder zu Ihnen kommen, aber wir haben in der Wohnung Ihrer Halbschwester ein«,
hier machte sie eine bedeutungsvolle Pause, »Testament gefunden, das Sie im
Fall des Ablebens von Frau Platzer begünstigt. Sie sind darin als Haupterbin
vorgesehen.«
Währenddessen beobachtete sie Melitta Ruckdäschel ganz
genau. Diese schlug zuerst die Augen nieder und deutete dann mit einem leichten
Kopfnicken an, dass sie sich erst jetzt einen Reim auf diesen überraschenden
Besuch machen könne. Aus den Augenwinkeln nahm Paula bei Heinrich ebenfalls ein
Kopfnicken wahr als Zeichen dafür, dass er ihre »zielführende Strategie« soeben
verstanden hatte. Und auch als Zeichen dafür, dass sie sich auf ihn in puncto
flexibles Reaktionsvermögen verlassen könne. Nur Eva Brunner, die mit
durchgedrücktem Rücken vor der Schrankwand stand, schien mit diesem taktischen
Manöver nichts anfangen zu können – sie sah ihre Chefin mit einem fragenden
Blick an.
Heinrich stand auf und sagte: »Das ist mir jetzt ein
wenig peinlich, Frau Ruckdäschel. Aber dürfte ich Sie bitten, kurz Ihre
Toilette …?«
Spätestens jetzt wäre eine ausgeklügelte Parade fällig
gewesen. Doch Melitta Ruckdäschel schien die Gefahr, in der sich ihr König
befand, nicht zu registrieren. »Aber natürlich«, erwiderte sie. »Kommen Sie,
ich zeige Ihnen, wo es langgeht.« Was für eine dilettantische Spielerin!
Nachdem Heinrich und Frau Ruckdäschel in der
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