Mord in Der Noris
nicht früher
draufgekommen bin. So ein Tiermedizin-Studium ist doch eine hervorragende
Gelegenheit, um sich Rattengift aus älteren Beständen zu besorgen.«
»Nein, das glaube ich nicht. Beziehungsweise, ich weiß
es. Frieder hat mir nämlich gesagt, dass seit der Jahrtausendwende an den Unis
ausschließlich Chemiestudenten Zugriff auf dieses Thalliumsulfat haben, einen
streng kontrollierten Zugriff im Übrigen. Die können nur unter Aufsicht des
Lehrkörpers damit arbeiten. Aber du kannst natürlich gern bei der Uni Erlangen
anrufen und dir dort Frieders Aussagen verifizieren lassen.«
»Kann ich denn noch was erledigen, was uns
weiterhilft, Frau Steiner?«, fragte Eva Brunner in bedrücktem Ton und kaum
hörbar.
»Nein, im Augenblick nicht. Ich bin dafür, dass Sie
sich – und auch du, Heinrich – den restlichen Tag freinehmen. Ich bleibe noch
so lange hier, bis ich das Ergebnis aus der Tetzelgasse habe.«
Heinrich hatte sich bereits von seinem Stuhl erhoben
und war zum Garderobenständer geeilt, um sich die Jacke überzuhängen, als Paula
noch hinzufügte: »Halt, einer muss doch noch kurz dableiben und Telefondienst
machen. So lange, bis ich von der Kantine zurückkomme. Ich habe nämlich jetzt
gewaltigen Hunger.«
Sofort antwortete Eva Brunner: »Das mache ich. Gern
sogar. Heinrich, du kannst schon gehen.«
Als Paula eine Dreiviertelstunde später in ihr
Büro zurückkehrte, schüttelte die Anwärterin nur kurz den Kopf. Also hatte in
ihrer Abwesenheit niemand angerufen. Nachdem auch Eva Brunner verschwunden war,
stellte sie sich ans Fenster und blickte auf den Jakobsplatz. Die drängende
Ungeduld des Vormittags war, was sie selbst überraschte, vollständig von ihr
abgefallen. Sie hatte sich nun auf einen langen Arbeitstag eingestellt, den sie
ausschließlich mit einer ihr sonst verhassten Tätigkeit, mit Warten, zubringen
würde. Mit Warten auf den klärenden Anruf aus der Gerichtsmedizin.
Als eine halbe Stunde später das Telefon klingelte,
hob sie sofort ab. Es war Klaus Zwo, der ihr mitteilte, dass sie weder auf der
Klinke noch an der Tür und am Rahmen neue Fingerabdrücke gefunden haben. »Das
habe ich schon befürchtet«, war ihr einziger Kommentar dazu.
Die folgende Stunde verbrachte sie abwechselnd damit,
das Alibi von Erwin Platzer für die Tatzeit zu überprüfen, dann das von Melitta
Ruckdäschel, die zwei Zeugen zu fragen, ob der Tatverdächtige unter Umständen
auch eine Frau gewesen sein könnte, und minutenlang aus dem Fenster zu sehen.
Das Ergebnis dieser Rumtelefoniererei überraschte sie nicht: Die VAG bestätigte Platzers Alibi, die Tochter der
Ruckdäschel das ihrer Mutter, und ja, beide Zeugen hielten es für denkbar, dass
der Mann mit der Baseballkappe auch eine Frau gewesen war.
Um siebzehn Uhr dreißig wurde sie von einem Kollegen
von der Schutzpolizei darüber informiert, dass beide Weber-Töchter ihre
Speichelproben nicht nur freiwillig, sondern geradezu gern abgegeben hätten und
die Proben nun von Dr. Müdsam untersucht würden. Das bestätigte ihren
Anfangsverdacht. Damit waren Tanja und Jeannette Weber aller Wahrscheinlichkeit
nach schon mal zumindest bei dem Messermord aus dem Schneider, Frieder würde
keine Übereinstimmung mit dem DNA -Muster auf dem
Siegel und der Stachelniete finden.
Um neunzehn Uhr fünfzehn dann die endgültige
Gewissheit. Die Hautschüppchen auf ihren Fundstücken stammten weder von
Jeannette noch von Tanja Weber. Irrtum ausgeschlossen.
»Du hattest dir von dieser Untersuchung sicher mehr
versprochen, Paula, oder? Ich habe dir damit wohl deine wichtigste Spur
zunichtegemacht. Was wirst du jetzt tun?«
»Ich? Ich gehe jetzt heim und mache mir einen
gemütlichen Abend. Mit allem, was dazugehört.«
Das war gelogen. Denn ihre Planung für den restlichen
Abend sah etwas ganz anderes vor, etwas Ungemütliches und längst Überfälliges,
wie sie mittlerweile erkannt hatte. Zeit zum Nachdenken hatte sie in den
vergangenen Stunden genug gehabt.
9
Auf der Fahrt in den Nürnberger Westen
überlegte sie, welche Fragen sie ihrem Zeugen stellten könnte. Hoffentlich war
er ihr gegenüber offen, sodass sich ihr Abendeinsatz auch lohnte. Doch, doch,
sie war sich sicher: Diese Vernehmung würde sich lohnen. Schon allein deswegen,
weil ihr der Zeuge derzeit am vielversprechendsten erschien.
In der zu dieser späten Stunde menschenleeren
Willstätterstraße stellte sie den Wagen ab. Augenblicklich trat ein
überschlanker kleiner Mann hinter dem Tor des
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