Mord in Der Noris
Diele
verschwunden waren, überlegte Paula angestrengt, wo in dieser kleinen
überschaubaren Wohnung sich ihr Anscheinsbeweis versteckt hielt. In der Diele
schon mal nicht, das hatte sie mit einem Blick gesehen. Küche, Toilette und das
Wohnzimmer kamen dafür auch nicht in Frage, da war sie sich sicher. Blieb nur
das Schlafzimmer. Oder der überdachte Balkon, der sich direkt vor dem
Wohnzimmer auf dessen ganzer Länge erstreckte. Sie stand auf und trat an die
Balkontür.
In dem Augenblick kehrte Melitta Ruckdäschel zu ihnen
zurück.
»Sie haben hier ja eine ganz zauberhafte Aussicht«,
sagte Paula, »auf all die Bäume und Sträucher. Ein richtig grünes Fenster. Ich
habe auch eine Wohnung in der Innenstadt, direkt an der Burg, aber leider
keinen Balkon. Manchmal bedaure ich das, so wie heute, wo ich Ihren sehe. Das
ist schon was ganz anderes, wenn man zumindest die Balkontür mal aufmachen
kann. Das gibt der Wohnung gleich wesentlich mehr Raum und Weite. Nicht wahr?«
Doch ihrer Gastgeberin schien nicht der Sinn nach
einer gepflegten innenarchitektonischen Konversation zu stehen, denn sie
bemerkte daraufhin lediglich: »Haben Sie denn schon eine heiße Spur zu Elviras
Mörder?«
»Leider nein. Gar nichts«, antwortete Paula bedauernd.
»Dann haben ihre Verwandten also ein Alibi? Haben Sie
das schon überprüft?«
Das war frech und plump von der Ohrstecker-Trägerin.
Verlangte geradezu nach einer kleinen Abmahnung, nach einem zusätzlichen
En-passant-Schlag. »Ja, natürlich. Das war das Erste, was wir gemacht haben.
Ein felsenfestes Alibi. Momentan haben wir zwar keine heiße, aber eine sehr
vielversprechende Spur. In Form einer dunkelblauen Baseballkappe.«
Heinrich gesellte sich wieder zu ihnen. Erneuter
Angriff, diesmal mit der Königin selbst.
»Sie rauchen nicht, oder?«
»Nein, warum …?«
»Weil ich jetzt sehr, sehr gerne eine Zigarette
rauchen würde. Meinen Sie, ich könnte dafür Ihren Balkon kurz missbrauchen?«
»Aber natürlich. Elvira hat sich, wenn sie bei mir
war, auch zum Rauchen auf den Balkon gestellt. Aber Sie können gerne doch auch
hier …«
»Nein, ich weiß, wie widerlich für Nichtraucher dieser
Gestank ist. Beziehungsweise, ich kann es mir vorstellen. Ich verschwinde dann
mal kurz. Herr Bartels, wenn Sie bitte weitermachen würden?«
»Ja, Frau Steiner.«
Bevor sie die Balkontür von außen schloss, hörte sie
noch, wie Heinrich das Abfragen erwartbarer Statements fortsetzte. Routiniert
und überzeugend.
Sie stellte sich an das äußerste rechte Ende der
Loggia, neben den leeren Aschenbecher, der auf einem kreisrunden hellgrauen
Metalltischchen stand, zündete sich eine HB an
und sah sich um. Schnell fand sie, wonach sie auf der Suche war. Die Ankle
Boots standen genau unter dem Metalltischchen. Sie ging in die Hocke. Jetzt
konnte sie sogar den Schlitz, wo der Nietbolzen fehlte, erkennen. Sie drückte
die eben erst angezündete Zigarette aus und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
»Jetzt haben wir Sie aber lang genug aufgehalten. Oder
haben Sie noch Fragen, Herr Bartels?«
An der Wohnungstür verabschiedete sie sich von Frau
Ruckdäschel. Und überlegte dabei noch, ob diese so viel Selbstbeherrschung
besaß, dass sie sich die momentan einzige Frage von Interesse verkneifen würde.
Nein, so diszipliniert war sie nicht.
»Weil Sie anfangs sagten, Frau Steiner, Sie haben ein
Testament gefunden, wonach ich die Haupterbin bin. Wissen Sie auch, wie viel
mir Elvira hinterlassen hat? Und ist da auch ihre Wohnung dabei?« Melitta
Ruckdäschel tat ihr Bestes, um nur mäßiges Interesse bei diesen Fragen
mitschwingen zu lassen. Dass sie sich selbst damit endgültig schachmatt setzte,
merkte sie nicht.
»Oh, Ihre erste Frage kann ich Ihnen im Moment leider
nicht beantworten. Wir stehen ja erst am Anfang der Ermittlungen. Zu Ihrer
zweiten Frage: Ich glaube schon, dass das Haupterbe die Eigentumswohnung von
Frau Platzer einschließt.«
Schweigend stiegen sie die Treppe hinab. Erst als sie
mit ihren beiden Mitarbeitern wieder vor dem Spittlertorgraben stand, sagte
Paula: »So, und jetzt muss alles ganz rasch gehen. Bist du auf dem Klo fündig
geworden, Heinrich?«
»Ja. Da.« Er langte in die Innentasche seines Jacketts
und zog einen kleinen Plastikbeutel heraus. »Diese Haare steckten in einem
Kamm. Und ich habe alle mitgenommen. Das reicht locker für einen Abgleich.«
»Gut, wirklich sehr gut. Damit gehst du jetzt zur
Gerichtsme…«
»Kann das nicht die Eva für mich
Weitere Kostenlose Bücher