Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)
man auch diesen Kriminalisten nach Berlin zurückbeordert, verschlechtert sich Lüdkes seelische Verfassung. Er wird zunehmend trübsinnig, unruhig und verstört und widerruft sogar während des Fortdauerns der Alkoholversuche einige Geständnisse.
Selbst die auf Anraten Prof. Schneiders erfolgte Rückkehr Mankes nach Wien ändert nichts an Lüdkes depressiver Verstimmung. Offenbar ahnt er wegen verschiedener Andeutungen sein bevorstehendes Ende. Auf eine dahin abzielende Frage Anton Rolleders, der mit ihm mehrmals die angeblich begangenen Morde bespricht, antwortet Lüdke, dass er „den Kopf mit dem Beil abkriegen“ würde. Doch wie so vielem steht der Versehrte auch seinem eigenen Tod völlig unbedarft gegenüber. Denn die Nazi-Bonzen haben – unter dem von höchster Stelle angeordneten Stillschweigen – weitaus Perfideres mit ihm vor.
Klammheimliche Beseitigung
Der Chef des Reichskriminalamtes Arthur Nebe trägt sich mit dem Gedanken, die Wirkung einer neuen Spezialmunition am Menschen zu erproben. Konkret handelt es sich um einen Geschosstyp, der mit dem hochtoxischen Pflanzengift Aconitin präpariert ist, wodurch auch ein ansonsten harmloser Streifschuss zum Tod führt. Deutsche Kriminaltechniker um SS -Sturmbannführer Albert Widmann haben dieses Giftgeschoss entwickelt, befürchten aber, dass das Aconitin vom Blut ausgeschwemmt werden und so seine Wirkung verfehlen könnte.
An Versuchsobjekten mangelt es den Handlangern des Hitler-Regimes nicht, einige SS-Ärzte setzen sich bedenkenlos über ethische Grenzen hinweg und zwingen etwa im Konzentrationslager Dachau internierte Roma und Sinti, Meerwasser zu trinken, wodurch sie innerhalb weniger Tage an Dehydrierung sterben. Andere KZ-Häftlinge werden für neue Erkenntnisse zur Unterkühlung stundenlang in Eiswasser getaucht. Oder man sperrt wehrlose Opfer in Unterdruckkammern, um für die Luftwaffe die Auswirkungen des Sauerstoffmangels in großen Höhen zu erforschen. Und immerzu protokollieren die Mediziner peinlich genau die körperlichen Reaktionen bis zum Ableben ihrer Probanden. Der Tod der „rassisch Minderwertigen“ ist also nicht bloß unbeabsichtigte Nebenwirkung, sondern wird vorsätzlich in Kauf genommen.
Doch zurück zu Bruno Lüdke. Weil Reichskriminaldirektor Nebe bezüglich dessen heimlicher Liquidierung schon einen scharfen Anpfiff von Himmler bekommen hat, will er gleich zwei Aufgaben auf einen Streich erledigen: Mit der zu erprobenden Giftmunition im Gepäck fährt er Anfang April 1944 nach Wien. Der Gerichtsmediziner Prof. Schneider allerdings lehnt eine Durchführung von Menschenexperimenten, die unmittelbar zum Tod führen, am KMI ab. Als Hochschullehrer, so seine Begründung, könne er eine „Secret-Service-Arbeit“ an seinem Institut nicht zulassen, andernfalls müsse er seine Demissionierung anbieten. Nebe nimmt die Kündigung an, belässt Schneider aber bis zur Ernennung eines Nachfolgers auf seinem Leiterposten – wo der Gerichtsmediziner bis Kriegsende bleibt, denn Nebe muss im Zusammenhang mit dem Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 untertauchen und wird ein halbes Jahr später gefasst und hingerichtet.
Nach einer späteren Zeugenaussage des Kriminaltechnikers Albert Widmann feuert Nebe im April ’44 seine Giftgeschosse nicht auf Bruno Lüdke ab, weil die Wissenschaftler des KMI bereits ein anderes Experiment im Sinn haben, das der Kripo-Chef zur Beseitigung des vermeintlichen Verbrechers nützt: Ein SS-Arzt hat ein Verfahren entwickelt, das bei der Behandlung von Lungenverletzungen in Feldlazaretten angewandt werden soll. Da dort aufgrund der dürftigen Ausstattung Lungenoperationen nicht durchgeführt werden können, will man sich mit dem Einleiten von Sauerstoff in die Arterien behelfen.
Widmann zufolge hat Nebe an einem solchen Versuch teilgenommen und ihm wie folgt darüber berichtet: Man habe Lüdke in eine Unterdruckkammer, die zur Simulation größer Höhen benutzt wurde, eingeschlossen und ihm, sobald sich Ausfallserscheinungen zeigten, Sauerstoffgas in die Arterien geleitet, worauf er wieder zu sich gekommen sei. Dieses Experiment habe man mehrmals wiederholt und schließlich die Ausfallserscheinungen nicht mehr in der erwähnten Weise bekämpft. Lüdke sei dann eben aus der Bewusstlosigkeit nicht mehr aufgewacht, und Nebe habe sein Fernschreiben mit der Todesmeldung befehlsgemäß nach Berlin abgeschickt.
Nach 1945 können alle in Lüdkes Beseitigung Involvierten sich bezeichnenderweise nur äußerst
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