Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)
gleichmäßiges, leises Rauschen hinter der verriegelten Badezimmertür vernehmen, muss der Hausmeister das Schloss mit einer Eisenstange aufbrechen. Keiner der Beamten tritt ein. Alle sind starr vor Entsetzen. In der randvollen Badewanne liegt, grauenhaft verstümmelt, die blutleere Leiche von Blanche Mandler.
Die zerstückelte Tote in der Wanne
Ihr Kopf ist bis zur Wirbelsäule abgetrennt, ihr rechter Unterschenkel fast ganz abgeschnitten, am linken Fuß fehlen alle Zehen. Aus dem geöffneten Wasserhahn, der zur Dämpfung des Geräusches mit einer Decke umwickelt ist, strömt ständig frisches Wasser nach, das durch den Ausguss wieder abfließt. Auf diese Weise ist die Tote, deren Kleider zerrissen und zerschnitten neben der Wanne liegen, nahezu vollständig ausgeblutet.
Der hinzugezogene Gerichtsmediziner Prof. Walther Schwarzacher, in diesen Tagen Ordinarius des Wiener Institutes, registriert die zwei auf einem Sessel liegenden Küchenmesser, mit welchen der Mörder versucht hat, die Leiche zu zerteilen. Er identifiziert den im Wannenwasser wallenden Schal als das Werkzeug, mit dem der Täter die Fabrikantin erdrosselt hat.
Durch die Obduktion und die Tatortarbeit gewinnt man wichtige Erkenntnisse über den Ablauf des Verbrechens: Blanche Mandler ist offenbar im Vorzimmer überfallen und niedergeschlagen worden. Der Mörder hat sie mit dem Schal stranguliert und in die Küche geschleppt. Dort begann er, ihren Körper zu zerschneiden, und setzte, als ihm dies nicht gelang, seine Handlungen im Bad fort.
Die in der Küche gefundenen Reste von weggewischtem Blut werden im Labor untersucht. Es sind Spuren von zwei Personen: Jene der seltenen Blutgruppe AB lassen sich dem Opfer zuordnen, jene der häufigen Gruppe A müssen vom Täter stammen, der sich bei seinen Zerteilungsversuchen geschnitten haben dürfte. Dass Julius Kausels Blut zur Gruppe A gehört, beweist zwar nichts, es ist aber auch kein Entlastungsgrund – selbst wenn an seinem Körper nicht die geringste Verletzung festgestellt werden kann.
Dafür entdeckt Prof. Schwarzacher an den Oberschenkeln der Toten insgesamt neun vergleichsweise frische Einstiche, die von Injektionsnadeln herrühren. Sollte der telefonische Hinweis des Unbekannten auf die Injektionen gegen Rheumatismus tatsächlich stimmen? Über die Zeitungen ersucht die Polizei jene Ärzte, die Blanche Mandler behandelten, sich zu melden. Jedoch ist sie damit genauso erfolglos wie die Gerichtsmedizin beim Versuch, die injizierte Substanz zu ermitteln: Eine Analyse erweist sich als unmöglich, da das fließende Wasser alle Arterien und Venen ausgeschwemmt hat. Die Stiche allerdings bedeuten ein weiteres Verdachtsmoment gegen Julius Kausel: Er hat im Krieg als Sanitätsobergefreiter am Hauptverbandsplatz gearbeitet und kann daher mit Injektionsspritzen geschickt umgehen.
Abgesehen von den Nachforschungen über ihren einzigen Verdächtigen klopfen die Polizisten das Umfeld der Fabrikantin ab und vernehmen weitere Personen, die den Mord verübt haben könnten, etwa die anderen Untermieter und verschiedene Geschäftspartner. Einer soll schweren Schaden erlitten haben, weil Frau Mandler von einem gemeinsamen Unternehmen zurückgetreten ist. Hier liegt möglicherweise das Motiv für eine Affekthandlung, denn es gibt weder Hinweise auf einen Raubmord noch auf ein Sexualdelikt. Aber die Spur verläuft im Sand, als man sich auf die Gretchenfrage konzentriert: Wann genau ist das Verbrechen verübt worden?
Die Tatzeit zu klären erweist sich im vorliegenden Fall als äußerst diffizil: An der Leiche fehlen wegen der Ausschwemmung des Blutes die Totenflecke, was Prof. Schwarzachers Meinung nach darauf hindeutet, dass der Täter Blanche Mandler unmittelbar nach dem Mord in die Wanne gelegt habe. Aber wie lange befand die Tote sich in der Wanne? – Schwarzacher orientiert sich an der sogenannten Waschhaut, also der Hautquellung an Handflächen und Fußsohlen, die sich mit fortschreitender Zeit an Wasserleichen bildet. Da bei der Ermordeten die Waschhaut nur schwach entwickelt ist, zieht der Gerichtsmediziner den Schluss, dass Frau Mandler nur wenige Stunden tot im Wasser lag. In ihrem Magen findet der Arzt kaum verdauten Spinat, den sie mit ziemlicher Sicherheit nicht zum Frühstück gegessen hat. So setzt Schwarzacher den Todeszeitpunkt auf die Nachmittags- oder frühen Abendstunden des Dienstags fest.
Just in dieser Zeit klaffen in Julius Kausels Alibi beträchtliche Lücken. Der von vielen
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