Mord in Wien: Wahre Kriminalfälle (German Edition)
diesen Lutz genauer anschauen.“
Und siehe da, die Strafkarte des Bauingenieurs spricht Bände: Veruntreuung, Postraub, Schwarzmarktgeschäfte, Misshandlung eines Geschäftspartners – insgesamt fünfeinhalb Jahre hat Rudolf Lutz im Kerker gesessen, bevor er im Sommer 1949 gegen Gelöbnis freigelassen wurde. Aber schlechter Leumund allein ist kein Haftgrund, Dr. Heger braucht Beweise, die er im Stillen sammelt, damit er den Mann nicht kopfscheu macht. Er beschafft sich von der Post das Originalformular des Telegramms, das „Dr. Bossarth“ aufgegeben hat, und lässt die Handschrift von einem Experten prüfen. Sie ist identisch mit jener des ebenfalls mit „Dr. Bossarth“ unterzeichneten Briefes.
Als weiteres Indiz erweist sich der Melderegistereintrag in einem Hotel in der Mariahilfer Straße: Lutz hat dort die Nacht zum 8. November verbracht. Überdies kann er für den fraglichen Nachmittag des 7. November kein Alibi beibringen und nicht glaubhaft erklären, woher die 50.000 Schilling stammen, die kurz nach dem Mord an Blanche Mandler auf seinem Tiroler Bankkonto eingegangen sind. Im Verhör leugnet er die Tat noch, gibt aber zu, dass er sich als Dr. Bossarth ausgegeben hat – um kreditwürdig zu erscheinen, wie er vorgibt.
Auch als man ihm den blutbefleckten Anzug zeigt, den Tiroler Kriminalisten bei der Hausdurchsuchung in Kematen sichergestellt haben, bleibt Lutz ungerührt. Da drückt Dr. Heger ihm die ebenfalls in Lutz’ Tiroler Wohnung sichergestellte Spiegelreflexkamera in die Hand. Es ist eine Exakta, über die er bedeutungsvoll sagt: „Diesen Fotoapparat haben Sie in einem Innsbrucker Fachgeschäft gegen die geraubte Leica eingetauscht.“
Erst jetzt bricht der Bauingenieur zusammen. Ja, er wolle gestehen und erbitte Papier und Bleistift, damit er alles aufschreiben könne. Seite um Seite erdichtet er ein Liebesdrama zwischen sich und Blanche Mandler, schildert die Bluttat in allen Einzelheiten, lässt aber alles aus, was seine sorgfältige Vorbereitung des Mordes verrät – eines Mordes, den er in Wahrheit für 50.000 Schilling in der Aktentasche der Fabrikantin begangen hat. Freilich wissen die Ermittler längst, dass Lutz es war, der die beiden Telefonanrufe am Dienstagnachmittag fingiert hat, indem er mit übertriebenem Schweizer Akzent die Existenz von „Dr. Bossarth“ glaubhaft machen wollte. Dummerweise hatte er die Telefonate vorab bei Verwandten geprobt. Sie hatten seine Stimme erkannt.
Für besonders perfide hält man den zerknüllten Pyjama und den auf sieben Uhr gestellten Wecker im Untermietzimmer – ein plumper Ablenkungsversuch, der Julius Kausel schwer belastete. Noch immer sitzt der Textilingenieur in Untersuchungshaft. Erst am 9. Jänner 1950 darf er die Zelle verlassen – als traumatisierter Mensch, den sein Schicksal zeitlebens einholt. Beispielsweise 1961, als er längst seine Verlobte Maria geheiratet, deren kleine Tochter adoptiert hat und in einen anderen Bezirk übersiedelt ist: „Mann im Schatten“ heißt der Spielfilm mit Helmut Qualtinger und Helmut Lohner in den Hauptrollen, der den Badewannen-Mord mit literarischer Freiheit nachzeichnet. „Durch den Film ist alles wieder aufgewühlt worden“, sagt Maria Kausel heute in schmerzlicher Erinnerung. „Etliche Leute haben hinter vorgehaltener Hand getuschelt: ‚Wenn die den Kausel eingesperrt haben, wird schon etwas dran gewesen sein.‘“
Doch es war nicht das Geringste dran. Abgesehen von 63 zu Unrecht im Gefängnis verlebten Tagen.
Steiler Aufstieg eines Ex-Nazis
Jener Gerichtsmediziner, der die „Spinatrechnung“ und damit Julius Kausels Freilassung ins Rollen gebracht hat, war hingegen 1949 zu Recht noch als Prosektor am Wiener Neustädter Krankenhaus notdienstverpflichtet. Dr. Leopold Breitenecker trat schon 1932 der NSDAP bei, engagierte sich in der HJ , leitete ab 1937 die Nationalsozialistische Betriebszellorganisation an der Gerichtsmedizin Wien und arbeitete schließlich für das Rassepolitische Amt der Gauleitung. Nach dem Krieg gab er vor der Entnazifizierungskommission an, der Partei erst im Zuge des „Anschlusses“ beigetreten zu sein. Eine glatte Lüge, die Breitenecker möglich war, weil er eine für österreichische Altparteigenossen reservierte neue Mitgliedsnummer mit Eintrittsdatum 1. Mai 1938 erhalten hatte. Nach Kriegsende versah der Gerichtsmediziner noch einige Monate lang Dienst am Wiener Institut, an dem akuter Personalmangel herrschte, 1946 wurde er dann nach Wiener Neustadt
Weitere Kostenlose Bücher