Mord und Mandelbaiser
Hannos Miene sah.
Ein Wort mehr, und er ruft dieses Klinikpersonal aus Mainkhofen, das Zwangsjacken und Betäubungsspritzen im Gepäck führt!
Ich muss ihn loswerden, dachte Fanni, ich muss ihn loswerden, diesen selbstgerechten Fleischkloß, damit ich unbehelligt nach Roland suchen kann.
Dann musst du jetzt eben so tun, als würdest du einsehen, dass du halluziniert hast!
Gut, ich werde also pro forma den Baldriantee akzeptieren, entschied Fanni.
Doch bevor sie sich bei Erwin Hanno für die Aufregung, die sie ihm bereitet hatte, entschuldigen und seinen Vorschlag annehmen konnte, bemerkte sie erstaunt, wie sich der Mund des Pflegedienstleiters zu einem gewinnenden Lächeln verzog.
Aber ich habe ja noch gar nichts gesagt, dachte Fanni, oder habe ich doch schon?
Sollte Hanno recht haben? War sie verrückt?
Da hörte sie eine gereizte Stimme hinter sich. »Wo bleiben Sie denn, Hanno? Das Meeting war für sechzehn Uhr fünfzehn angesetzt. Pünktliches Erscheinen obligatorisch – wie wir es seit jeher handhaben.«
Die Stimme klang nicht fremd. Fanni hatte diesen Mann schon hie und da reden hören, allerdings in einem weit freundlicheren Tonfall.
Sie drehte sich um.
Achim Müller nickte ihr einen knappen Gruß zu und fuhr an den Pflegedienstleiter gewandt fort: »Schnell jetzt, Hanno. Man wartet auf Sie. Dr. Benat spricht mit vollem Recht von Brüskierung.«
Daraufhin eilten die beiden Herren davon, ohne Fanni auch nur eines Abschiedsblickes zu würdigen.
Der Führungsstab der Katherinenresidenz traf sich also zu einer Besprechung, Müller, der Heimleiter, Lex von der Verwaltung, Huber vom sozialen Dienst, Hanno, der Pflegedienstleiter, und Dr. Benat, der Berufsbetreuer. Womöglich waren auch die Stationsschwestern dazu eingeladen, der Reinigungsdienst – und der Koch.
Je mehr, desto besser, dachte Fanni. Wer im Konferenzraum sitzt, kann mir bei der Suche nach Roland nicht in die Quere kommen.
Sie wartete, bis Müller und Hanno in Richtung Haupteingang abbogen. Kaum waren die beiden außer Sicht, wandte sie sich wieder der Tür mit der Aufschrift »Aussegnungsraum« zu. Im Moment drangen nur leise Geräusche heraus: Rascheln, Schlurfen, Gleiten.
Da drin werde ich auf alle Fälle mal nachsehen, dachte sie entschlossen, legte die Hand auf den Türgriff – und zögerte.
Memme!
Fanni biss die Zähne zusammen, drückte die Klinke hinunter und ließ sie im selben Augenblick wieder los. Ein scharrendes Geräusch hinter ihr hatte sie erneut zu einem Rückzieher veranlasst.
Sie warf einen Blick über die Schulter.
Aus dem Gang, der zu den rückwärtigen Parkplätzen führte, schob sich ihr eine Rollbahre entgegen, die von zwei Herren in dunklen Anzügen flankiert war.
Sechzehn Uhr dreißig, meldete sich Fannis Gedankenstimme überklug. Das sind die Bestatter von Herrn Bonner, die Erwin Hanno vorhin angekündigt hat!
Fanni verschmolz mit der Topfpflanze und hielt die Luft an, als einer der Herren vortrat und die Tür zum Aussegnungsraum bis zum Anschlag öffnete. Die Bahre rollte hinein.
Fanni reckte den Hals.
»Schon alles komplett erledigt«, hörte sie ihn überrascht sagen. »Sogar der Deckel ist bereits drauf, allerdings noch nicht verschraubt. Trotzdem haben Sie uns heute eine Menge Arbeit abgenommen.«
Sie bekam mit, wie der andere murmelte: »Ist ja mal was ganz Neues. Andererseits kann man wohl eine kleine Gefälligkeit erwarten, wenn man zweimal herkommen muss, weil beim ersten Mal der Totenschein noch nicht ausgestellt ist.« Laut sagte er: »Haben Sie die Papiere jetzt parat?«
»Hä?«, fragte eine raue Stimme.
Der zweite Bestatter wandte sich an seinen Kollegen. »Ich frage im Verwaltungsbüro nach.«
Fanni duckte sich.
Sobald der Herr vom Bestattungsinstitut an ihr vorbei war, kam Fannis Nase wieder hinter der Topfpflanze hervor.
Sie sah einen Mann in Arbeitskleidung mit einem Eimer in der Hand an der offenen Tür vorbeigehen, der grummelte: »Mittag … Todesfall … Dekoration.«
»Ja, ja«, vernahm sie die freundliche Stimme des im Aussegnungsraum verbliebenen Bestatters, den sie im Moment nicht sehen konnte, »in Altenheimen muss man an manchen Tagen mit gleich zwei oder drei Todesfällen rechnen. Aber genauso gut kann es vorkommen, dass wochenlang überhaupt niemand stirbt.«
Die raue Stimme gab eine Antwort, die Fanni nicht verstehen konnte, denn sie musste sich wieder ducken, weil der zweite Bestatter mit einigen Schriftstücken in der Hand zurückkam.
Als er im
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