Mord Wirft Lange Schatten: Mitchell& Markbys Dreizehnter Fall
dem Tisch. Sie stellte die Flasche in den Schrank zurück und spülte die Gläser, trocknete sie ab und stellte sie ebenfalls in den Schrank. Nach einem Moment des Zögerns nahm sie den kleinen Teller vom Tisch und spülte auch ihn. All diese Arbeiten hätte sie auch für Lucy stehen lassen können, doch es gab ein paar Dinge, die man im Gegensatz zum Schwärzen eines Küchenherds besser nicht der Aufmerksamkeit einer Küchenmagd überließ. Nicht, dass Mrs. Button und Mr. Watchett nicht ein Recht auf ein abendliches Schwätzchen bei einem Glas Sherry gehabt hätten, doch es war sehr wichtig, den Respekt der Dienstboten zu bewahren und ihnen keinen Grund zu geben, hinter dem Rücken über die Herrschaften zu lachen.
Es wurde bereits spät. Watchett war länger geblieben als üblich. Mrs. Button ging nach draußen in die Halle. Dort glomm leise zischend eine einzelne Glühstrumpflampe. Die übrigen Räume im Erdgeschoss lagen dunkel. Die Atmosphäre war schwer mit unsichtbaren Geistern, wie es in einem großen Haus des Nachts eben so ist. Die große Standuhr zeigte fast elf. Mrs. Button ging zur Vordertür, um auch dort die Riegel zu prüfen. Selbstverständlich hatte Mr. Oakley die Tür abgesperrt, bevor er nach oben gegangen war, doch an diesem Abend hatte Mrs. Buttons Arbeitgeber irgendwie geistesabwesend gewirkt. Er hatte sich früh zurückgezogen, noch vor zehn. Sie hatte gehört, wie er nach oben gegangen war. Nun ja, hatte sie zu Watchett gesagt, kein Wunder, dass er so abwesend ist.
»Ich habe es kommen sehen, Mr. Watchett. Seit dieses junge Ding, diese Daisy Joss, den Fuß in dieses Haus gesetzt hat. Sie ist viel zu hübsch, als ihr selbst gut täte.«
»Ah«, sagte Watchett.
»Kam noch nie was Gutes dabei raus, einen Joss einzustellen.«
»Und die arme Mrs. Oakley in ihrem jetzigen Zustand, mit dem Zahn. Dem gezogenen Zahn, meine ich. Ich weiß wirklich nicht, warum sie nicht nach London gefahren und zu einem Zahnarzt gegangen ist, der sich mit der Behandlung von vornehmen Leuten auskennt. Sie ist in einem grauenhaften Zustand, seit der Doktor aus Bamford ihr den Zahn gezogen hat.«
»Eine Türklinke und ein Stück Zwirn«, sagte Mr. Watchett.
»Mehr braucht es nicht, und es ist immer noch die beste Methode, um einen Zahn zu ziehen.«
»Es wäre jedenfalls bestimmt nicht schlimmer gewesen«, rümpfte Mrs. Button die Nase. Die Vordertür war verriegelt. Sie nickte vor sich hin und wandte sich zur Lampe, um den Gashahn zuzudrehen. Dabei erhaschte sie einen Blick auf ihr Spiegelbild und hielt inne, um ihr merkwürdig mahagonifarbenes Haar glatt zu streichen. Anschließend kehrte sie in die Küche zurück und ging hindurch in den sich anschließenden Garderobenraum, von wo aus die schmale Hintertreppe hinauf in die oberen Räume führte. So allein, wie sie im Erdgeschoss war, hätte sie durchaus auch die Vordertreppe nehmen können, doch alte Gewohnheiten hielten sich hartnäckig. Hintertreppen waren für Dienstboten, Vordertreppen für die Herrschaften, und obwohl Mrs. Button in der Hierarchie der Dienstboten von Fourways House ganz oben stand, nahm sie diese Route, um zu Bett zu gehen, durch das dunkle Haus, mit einem Kerzenleuchter in der Hand. Ringsum knarrte und knackte es aufgrund der fallenden Temperaturen im Gebälk. Im ersten Stock kam die Treppe am Ende des Korridors heraus, direkt neben der Tür zum Turmzimmer, wo Mrs. Oakley schlief. Als Mrs. Button sich zur nächsten Treppe wandte, die weiter nach oben in das Dachgeschoss und zu ihrem Schlafquartier sowie dem kleinen Wohnzimmer führte, vernahm sie plötzlich ein dumpfes Poltern. Ihm folgte ein sofortiger Schrei. Ein Schrei, der so merkwürdig, so unirdisch klang, dass Mrs. Button nicht glauben konnte, dass er aus einer menschlichen Kehle kam. Wenn er überhaupt irdischer Herkunft war, dann war es der gequälte Aufschrei eines Tieres im Todeskampf. Mrs. Buttons Herz begann schmerzhaft zu pochen, und sie bekreuzigte sich mit der freien rechten Hand. Sie war als Katholikin aufgewachsen, obwohl sie ihre Religion seit vielen Jahren nicht mehr praktizierte. Doch jetzt, in dem Gefühl, auf eine Weise geprüft zu werden, die göttliche Hilfe erforderte, suchte sie Zuflucht im Glauben ihrer Kindheit. Die Geräusche waren aus dem Turmzimmer von Mrs. Oakley gekommen, daran bestand nicht der geringste Zweifel. Furchtsam näherte sich die Haushälterin der Tür, und nach einem Augenblick des Zögerns klopfte sie an.
»Mrs. Oakley? Ma’am?« Keine
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