Mord
kalt-aggressive Situation habe er nur zweimal kennengelernt, das zweite Mal gegenüber dem Sozialarbeiter Müller nach dem Tod seiner Mutter.
Die Mutter hatte Fritz an einem Mittwoch das letzte Mal besucht. Am Sonnabend wurde er angerufen, sie müsse ins Krankenhaus, und am Montag wurde sie operiert. Da war aber nichts mehr zu machen, sie war voller Metastasen, die Ärzte haben sie gleich wieder zugemacht, und am nächsten Mittwoch war sie gestorben. Die Beerdigung wurde für den Freitag der nachfolgenden Woche angesetzt. Fritz sprach mit dem Sozialarbeiter, der ihm versicherte, dass er die Papiere fertig macht, damit er zur Beerdigung Ausgang erhält. Aber als er nach einigen Tagen nachfragte, war der Sozialarbeiter nicht mehr da, sondern zu einem Seminar gefahren. Ein Antrag war zwar vorbereitet, die Teilnahme an der Beerdigung als «Ausführung», an allen vieren gefesselt mit der Hamburger Acht. Aber es war nichts endgültig geregelt, dafür war es nun zu spät. Montags drauf suchte Fritz den Sozialarbeiter auf, doch der meinte nur: «Das war ja nicht so wichtig für Sie, Sie hatten ja eh kaum Kontakt mit Ihrer Mutter.» Da hätten sie ihn zu zweit festhalten müssen, weil er mit seinen Händen schon am Hals des Sozialarbeiters gewesen sei. Das war 1977 . Später erzählte mir Fritz Wolkow stolz davon, aber ich bezweifle, dass es ihm damals um seine Mutter ging. Er war sauer, weil man ihm die Ausführung vermasselt hatte, und er hatte den Sozialarbeiter bei einem weiteren groben Fehler erwischt: So etwas zu sagen war nicht nett, es war dumm. Aber es war nicht ganz unwahr. Obwohl ihn die Mutter wirklich regelmäßig besucht hatte.
Der Lebenswandel des heranwachsenden Fritz war kostspielig. Immerhin dauerte es bis zu seinem 19 . Lebensjahr, bis er das erste Mal in Haft kam. Er war in Mariendorf in Geschäfte und Lokale eingebrochen und hatte Bargeld, Zigaretten und sonstige werthaltige Dinge gestohlen. Mitten im Sommer stellte er sich der Polizei, weil seine Überführung nahe bevorstand, und blieb drei Monate in Untersuchungshaft. An deren letztem Tag verurteilte ihn das Jugendschöffengericht wegen zehn Diebstählen zu einer Strafe von einem Jahr, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Er lernte: U-Haft ist die Strafe, aber ganz interessant und lehrreich; Urteil ist, wenn du freikommst. Es war dies die erste von neun Verurteilungen, immer wegen Diebstahls – außer der allerletzten.
Die Unannehmlichkeiten hielten sich in Grenzen, und er lernte neue Menschen kennen. Nachdem er aus der U-Haft entlassen worden war, wohnte Fritz bei Kumpels. Binnen vier Monaten kam es zu einem Bewährungswiderruf und einem neuen Verfahren wegen Diebstahls, und er saß im Jugendknast in Plötzensee. «Wie gesagt», erzählte Fritz Wolkow, inzwischen ein Mann mit konkurrenzlos großer Knasterfahrung, «ich hab mich in meinem Leben nur zweimal geschlagen. Trotzdem: Ich habe mich durchgesetzt, aber anders. Ich habe nie eine Hemmschwelle gehabt, nie Angst, anderen wehzutun. Wenn, dann den anderen niedermachen, nichts mit fair oder so.» Aber viel wichtiger, als sich durchzusetzen, sei das Dichthalten gewesen gegenüber den Bullen, gegenüber den Schließern. Rangordnungen, behauptete er, habe es so gut wie gar nicht gegeben. Die Schließer hätten einen Stubenältesten bestimmt.
Im Jugendknast hatte er Glück, fand Kontakt zu Acki Schulz und zu Didi, die waren beide aus gutsituierten Häusern, aber gescheiterten Familien. Von ihnen lernte er: Für Geld geht alles. Fritz passte sich schnell an, fand die Löcher, durch die man schlüpfen konnte, lernte, wie man am besten über die Runden kommt.
Nach 14 von 18 Monaten, die er hätte brummen sollen, kam Fritz Anfang Mai 1962 raus, er war jetzt volljährig, 21 Jahre alt. Er hatte seine erste richtige Strafverbüßung hinter sich und noch 15 Tage vor sich bis zu seinem ersten Mord. 18 Jahre blieb er als Täter unentdeckt, bis zu seinem zweiten Mord und seinem Geständnis. Fünf Tage nach dem ersten Mord war er schon wieder in Haft, aber wegen Diebstahls, zehn Monate lang.
Vor der Haftentlassung im Mai 1962 , erzählte mir Fritz Wolkow, sei er von Freitag 16 Uhr bis Sonntag 18 Uhr in einer Einzelzelle gewesen. «Dann bin ich rausgeworfen worden, das war die Entlassungszelle. Sonst hat es keine Entlassungsvorbereitungen gegeben. Wie es weiterging, weiß ich gar nicht mehr. Offiziell habe ich bei der Mutter gewohnt. Inoffiziell hatten wir eine Bude in der Fidicinstraße,
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