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Mordloch

Mordloch

Titel: Mordloch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Bomm
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Lokal führte eine aus allen Fugen geratene Holztür, deren uralte Klinke kräftig gedrückt werden musste.
    Von weitem klangen an diesem Samstagabend bereits fetzige Stimmungslieder aus dem Lokal. Das ›Kaos-Duo‹, zwei schwäbische Musiker, die mit eigenen Liedern die Beschwernisse des Alltags glossierten, präsentierten ein kurzweiliges Programm. Die beiden Männer, mit dem typisch blauen Gewand eines früheren Albbauern bekleidet, hatten sich mit Schlagzeug und Gitarre in eine Ecke gezwängt. Man konnte die Musiker nicht von jedem Platz aus sehen, doch war das auch gar nicht notwendig, weil allein ihre Texte schon für Heiterkeit sorgten. Das Publikum, überwiegend mittleren Alters, saß dicht gedrängt an den Tischen oder machte sich auf den Eckbänken dünn. Man stimmte voll Inbrunst in die Refrains ein und klatschte zum Takt der Musik. Renner war auch heute »I bin dr Letzte en dr Boiz« – was so viel hieß wie »Ich bin der Letzte im Lokal«. Wobei die Übersetzung nur unvollständig wiedergibt, was im Schwäbischen gemeint war. »Boiz« ist im Schwäbischen sowohl die liebevolle Bezeichnung für ein urgemütliches Lokal, kann aber auch, abwertend ausgesprochen, genau das Gegenteil bedeuten.
    Eine Zugabe nach der anderen wurde gefordert. Hans-Ulrich Pohl, Sänger, Moderator und Musiker, kam ins Schwitzen. Sein inzwischen leeres Weizenbierglas hatte er neben sich auf den Holzdielenboden gestellt. Und Kollege Marcel Schindling, ein Hesse, der es trefflich verstand über die Schwaben zu witzeln, bearbeitete sein Schlagzeug im Schweiße des Angesichts immer heftiger. Die Stimmung stieg, die Temperatur in den niederen Räumen auch. Zigarettenqualm hing beißend in der Luft.
    »Also«, drang Pohls kräftige Stimme durch das Lokal, »zum Schluss noch ein Liedle, das ganz aktuell unseren Freunden droben in Waldhausen g’widmet isch.« Er wusste, dass an diesem Abend eine ganze Gruppe von Gästen aus dem Albdorf herab gekommen war. »Wir haben’s alle in der Zeitung g’lesen, dass es am Dienstag ziemlich Zoff gegeben hat.«
    »Richtig«, schrie einer und bekam sogleich Beifall, sodass Marcel mit einem Trommelwirbel wieder für Aufmerksamkeit sorgen musste.
    »Wahrscheinlich wird mancher da oben noch das Muffensausen kriegen«, fuhr Pohl fort und winkte der schlanken Wirtin zu, sie solle ihm ein weiteres Weizenbier bringen. Wieder unterbrach ihn jemand aus dem Nebenraum, der durch zwei offen stehende Türen mit dem größeren Teil verbunden war: »Die Ferkelzucht isch die größte Schweinerei aller Zeiten.«
    Der Musiker reagierte prompt: »Dass des a Sauerei isch, wird niemand bestreiten.« Beifall brandete auf. Marcel ließ erneut einen Trommelwirbel erschallen.
    »Für solche Fälle«, fuhr Pohl fort und spürte, wie es ihm immer heißer wurde, »da haben wir unser spezielles Liedle. Wenn man auf den Tisch schlagen will, es aber diplomatisch tut, dann hat der Schwabe nämlich eine ganz eigenartige Formulierung parat: I sag ja nex, i moin ja bloß. Für alle Reig’schmeckte heißt das: Ich sag’ ja nichts, ich mein’ ja nur.«
    An dem Tisch der Waldhauser wurde Gelächter laut. Ein älterer Mann schlug seinem deutlich schmächtigeren Nebensitzer kräftig auf die Schulter: »A Lied für dich, Mensch, s’ wär’ höchste Zeit, dass du Schwäbisch lernst.« Schon hatte das ›Kaos-Duo‹ zu singen begonnen.
    Der etwa 40-jährige Mann, der als Einziger am Tisch nicht in weiblicher Begleitung war, fuhr sich durch die gelockten blonden Haaren. »Um ehrlich zu sein«, schrie er dem anderen ins Ohr, um Musik und Gesang zu übertönen, »ich bleib’ lieber beim Hochdeutsch. Euch Schwaben da oben«, er machte eine Kopfbewegung in Richtung Berg, »die werd’ ich sowieso nie verstehen.«
    Der Angesprochene drehte nun seinen Kopf, um dem anderen ins Ohr brüllen zu können: »Du solltest nur verdammt aufpassen, dass du nicht mal an den Falschen gerätst.«
    Dann nahmen sie die letzte Zeile des Refrains wahr: »... sonst gibt’s no z’molz a Sauerei.« Das Stichwort hatte sie aufhorchen lassen. Und selbst der Fremde verstand, was – ins Hochdeutsche übersetzt – gemeint war: »Sonst gibt es plötzlich eine Schweinerei.«
     

2
    An diesem Samstag, Ende Juli 2004, als noch überall vor den baden-württembergischen Sommerferien Straßen- und Waldfeste stattfanden, war das Wetter eher herbstlich. Auf der Hochfläche der Schwäbischen Alb hingen die Wolken tief, sodass die Dämmerung rasch hereinbrach. Schade um

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