Mordloch
was manchen Landwirt an einer künftigen Expansion hindern könnte.«
Der Handwerksmeister überlegte einen kurzen Moment. »Ich weiß nicht«, meinte er schließlich zögernd und griff wieder zu seinem Rotweinglas, »ich weiß nicht, ob der Mensch überhaupt auf solche Weise mit Kreaturen umgehen darf – Lebewesen fabrikmäßig verarbeiten.« Er nahm einen Schluck und fingerte sich mit der anderen Hand einige Erdnüsse aus der metallenen Schale. »Mir geht die Käfighaltung bei den Hühnern schon gegen den Strich«, sagte er dann.
Westerhoff zuckte mit einer Backe und fuhr sich durchs volle schwarze Haar. »Ich bitt’ Sie, da geht’s um Geld. Um viel Geld. Sie müssen heutzutage rationalisieren, das wissen Sie genau so gut wie ich. Wenn Sie nicht Schritt halten, werden Sie überrollt. Was nützt es dem Landwirt, wenn er seine Tiere zwar züchtet wie zu Großvaters Zeiten – er aber nicht mehr wettbewerbsfähig ist?«
Der Handwerker presste kurz die Lippen zusammen, um dann vorwurfsvoll festzustellen: »Genau das ist doch unser aller Problem. Was scheren uns die Kreaturen, die Lebewesen um uns rum? Hauptsache Knete. Ein Tierleben ist nichts mehr wert. Ex und hopp – am Fließband. Wir vergessen, dass wir alle Bestandteil dieser Natur sind.«
Betretenes Schweigen. Westerhoff blätterte etwas verlegen in einem Schnellhefter. »Dann entspricht mit Sicherheit die Windkraft eher Ihren Vorstellungen«, meinte er etwas kleinlauter und griff den Faden wieder auf: »Energie aus absolut natürlichen Quellen, ohne Folgen und ohne nachhaltige Eingriffe in die Natur.«
Glockinger zeigte sich versöhnlich. »Deswegen bin ich gekommen, ja. Außerdem hat’s mir das Dörfchen hier angetan.« Er lächelte. »Bin Dampfbahnfan, müssen Sie wissen. Wenn die Museumsbahn fährt, komm’ ich mit der Familie her.«
»Dann sind Sie vor drei Wochen auch mitgefahren?« schaltete sich nun die zierliche Frau Westerhoff in das Gespräch ein.
»Ja, selbstverständlich. Meine Frau und mein vierzehnjähriger Sohn sind ebenfalls begeisterte Eisenbahnfans.« Als sich Glockinger während der letzten Dampfzugfahrt erkundigt hatte, wer als Ansprechpartner für Windkraftanlagen in Frage käme, waren ihm die Westerhoffs empfohlen worden. Schließlich, so hieß es, hätten diese erst vor wenigen Monaten einen neuen Rotor in Betrieb genommen. Glockinger hatte deshalb bei ihnen angerufen und um einen Gesprächstermin gebeten. Dass dieser dann am Samstagabend zustande kam, war dem Handwerksmeister recht gewesen. Schließlich war seine freie Zeit knapp bemessen.
»Und morgen?« Frau Westerhoff schaute ihn an.
»Bitte?« Er schien irritiert zu sein.
»Morgen? Sie fährt wieder, die Dampfbahn. Sind Sie auch wieder dabei?« präzisierte die Frau ihre Frage.
Er schüttelte schnell den Kopf. »Nein, nein«, sagte er und lächelte, »nein, diesmal nicht.« Er wollte sich jetzt nicht über Dampfzüge unterhalten. Sein Interesse galt etwas anderem – den Rotoren.
Wie sehr die Zahl der Windkraftanlagen gerade in diesem Bereich der Alb zunahm, hatte er in jüngster Vergangenheit bemerkt. Immer wenn die Museumsbahn der Ulmer Eisenbahnfreunde von Amstetten über die Hochfläche nach Ger-stetten fauchte, entdeckte er neue Rotoren. Manchmal empfand er die Anlagen, die mit ihren Flügelspitzen teilweise bis zu hundert Metern in den Himmel ragten, sogar als ein bisschen störend. Daran musste er denken, als er schließlich von weiteren Fragen ablenkte: »Eine traumhafte Gegend.« Er trank sein Weinglas leer. Draußen war es inzwischen dunkel geworden.
»Ein Stück heile Welt, ja«, entgegnete ihm Westerhoff und zog aus einer Klarsichtfolie eine Broschüre, auf der sich die Anschrift eines Ingenieurbüros für Windkraftanlagen befand. »Wir haben unser Häusle hier oben vor vier Jahren gebaut«, sagte er dabei eher beiläufig. »Ich bin leitender Angestellter einer Firma in Geislingen drunten – und fühl’ mich hier oben richtig frei. Es ist wirklich ein Idyll.«
Glockinger nahm die Broschüre und kniff die Augen zusammen: »Dann kann ich Ihnen nur den Rat geben, achten Sie darauf, dass es so bleibt.«
Westerhoff stutzte. »Sie meinen wegen des Schweinestalls?«
Der Handwerksmeister stand auf und rollte die Hochglanzbroschüre zusammen: »Glauben Sie mir – manchmal ändert sich so ein Idyll schneller, als es einem lieb ist.« Er lächelte, doch es wirkte gezwungen.
3
Er schwitzte und war außer Atem. Dabei war die Nacht kühl,
Weitere Kostenlose Bücher