Mordloch
den schönen Sommerabend, dachte sich Heinrich Westerhoff beim Blick aus dem Fenster seines schmucken Einfamilienhäuschens. »Nicht mal Wind«, stellte er fest und deutete seinem Gast mit einer Handbewegung an, was er meinte: Der schneeweiße Rotor einer Windkraftanlage, die sich knapp einen halben Kilometer entfernt in den grau-dämmrigen Himmel erhob, stand still. Westerhoff, der einer von vielen war, die in den vergangenen Jahren in diese modernen »Windmühlen« investiert hatten und sich davon satte Gewinne versprachen, erläuterte dem interessierten Zuhörer die Vorzüge einer derartigen Geldanlage. »In spätestens zwölf Jahren hat sich das Ding amortisiert«, stellte er fest und lächelte. Seine Frau, dunkelhaarig und zierlich, nickte eifrig und schüttete geröstete Erdnüsse in eine Schale, die auf dem gläsernen Wohnzimmertisch stand. Ihr Mann und der Gast, ein offenbar gut betuchter Handwerksmeister aus Stuttgart, der es gewohnt war in seinem Dachdeckerbetrieb selbst kräftig zuzupacken, saßen sich gegenüber. »Der Staat fördert die Investition«, hakte der muskelstarke, fast kahlköpfige Besucher nach und verschränkte die kräftigen Oberarme, die das helle Freizeitjackett beinahe zu sprengen drohten.
Der Gastgeber nickte: »Abgesehen von der steuerlichen Abschreibung garantiert Ihnen das Gesetz für erneuerbare Energien auf Jahre hinaus einen sicheren Kilowattpreis. Und den muss Ihnen der örtliche Stromversorger bezahlen – ob er will oder nicht.« Westerhoff griff zum Rotweinglas und prostete beiden zu. Nach einem Schluck Württemberger Trollinger mit Lemberg fasste der Handwerksmeister zusammen: »Windstrom wird, wenn ich das also richtig verstehe, sozusagen subventioniert.«
»Exakt. Unser Albwerk hier, der örtliche Stromversorger, hat sich anfangs vehement dagegen gewehrt, weil doch Energie aus den Kernkraftwerken weitaus billiger zu beziehen ist – nur vordergründig natürlich, denn keiner der Manager spricht ja davon, was die völlig verantwortungslose Endlagerung des strahlenden Materials auf Jahrtausende hinaus die Menschheit kosten wird.«
»Und jetzt hat das Albwerk seine Einstellung zur Windkraft geändert?«, wollte der Kleinunternehmer wissen.
»180-Grad-Kehrtwendung«, stellte Westerhoff fest und grinste. »Der Gesetzgeber hat’s geregelt – vor geraumer Zeit schon. Egal, wie viel von dem angeblich so teuren Windstrom ein Netzbetreiber in seinem Versorgungsgebiet aufkaufen muss – jetzt werden die zusätzlichen Kosten bundesweit auf alle Energiekonzerne umgelegt.« Er zeigte sich zufrieden und fügte hinzu: »Ein genialer Schachzug, Herr Glockinger, ganz genial. Jedenfalls ist das Albwerk jetzt sogar selbst in die Windstrom-Produktion eingestiegen.«
»Und Standorte für Rotoren gibt’s hier oben noch?«
Westerhoff nickte. »Noch, ja. Auch wenn die Natur- und Landschaftsschützer so langsam nervös werden. Ich kann Ihnen die Adressen von Ingenieurbüros geben, die noch immer auf der Suche nach Investoren sind.«
Glockinger nahm wieder einen Schluck Wein. »Tun Sie das. Mir scheint, da ist langfristig tatsächlich Knete zu machen.«
Westerhoff stand auf, um aus einer Schublade in der schlichten Regalwand einen Schnellhefter zu holen. »Allerdings«, sagte er dabei, »gäb’ es hier in unserem schönen idyllischen Örtchen auch noch eine andere Möglichkeit für eine Beteiligung, nämlich Schweineställe.«
»Schweineställe?«, wiederholte sein Gegenüber ungläubig.
»Richtig. Schauen Sie sich doch um auf der Alb! Entweder Windräder oder Schweineställe. An jedem Waldeck schießen Schweineställe wie Pilze aus dem Boden. Ist der große Renner. Gigantische Dinger.« Westerhoff spürte, dass er das Interesse seines Besuchers geweckt hatte. »Vergessen Sie das ländliche Bauernidyll, lieber Herr Glockinger. Schweinezucht ist heutzutage industrielles Management. Im einen Betrieb werden die Ferkel geboren, dann nach wenigen Wochen zum Mästen in einen anderen kutschiert – und später zur weiteren Aufzucht an einen Dritten gegeben. Bei uns hier in Waldhausen plant eine solche Gesellschaft gerade einen riesigen Mastbetrieb.«
Glockinger hakte nach: »Und daran kann man sich finanziell beteiligen – auch als Nicht-Landwirt?«
»Klar«, antwortete Westerhoff, »wenn’s denn vollends so weit kommt. Im Moment tun sich wahre Proteststürme dagegen auf. Gestank wird befürchtet – und dass weitere solche Betriebe auf unserer Gemarkung dann nicht mehr zugelassen werden,
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