MORDMETHODEN
(vgl. Anhang).
Ermittlungshilfe durch Kommissar Zufall?
Nase und Lippen sind nicht die einzigen Unwägbarkeiten einer Gesichtsnachbildung. Auch Haarfarbe, Form der Augenbrauen und überhaupt die so genannte »Haartracht« sind wichtige Erkennungsmerkmale eines Menschen. (Deshalb genügt manchmal schon eine Mütze, um sich in einer Menschenmenge zu verstecken.) Ungünstig ist zudem, dass ein nachgebildetes Gesicht stets entspannt und ernst dreinschaut. Das ist, wie bereits erwähnt, ein Zustand, den vor allem flüchtige Bekannte an einer Person nie erleben.
Zugleich ist es grundsätzlich nicht möglich, Gesichtsausdrücke (Mimiken) eines Menschen nachzuformen, über dessen Leben man nichts weiß. Doch bereits ein bestimmter, von nur wenigen Menschen verwendeter Gesichtsausdruck würde genügen, um diesen Menschen wiedererkennen zu können. Wie jede kriminaltechnische Methode hat also auch der Gesichtsnachbau seine Grenzen.
Die Unsicherheiten bei der Weichgewebenachbildung hatten zur Folge, dass Ende des 20. Jahrhunderts eine lebhafte Diskussion um diese Technik geführt wurde. 1999 untersuchten zwei australische Anatomen, wie groß die Ermittlungserfolge bei Gesichtsnachbildungen wirklich sind. »Diese Untersuchung soll zeigen, ob irgendeine von 16 Gesichtsannäherungen, hergestellt nach einheitlichem Verfahren, genügend genau ist, um eine Person besser zu erkennen, als das auch durch Zufall möglich wäre«, schrieben die beiden Autoren. Das Ergebnis ihrer Versuche war erschütternd.
Die Australier benutzten Gipskopien von vier menschlichen Schädeln, die sie Sam, Fred, Kate und Jane tauften. Für jeden dieser Schädel bildeten sie nach verschiedenen, aber stets gleich durchgeführten Methoden die Gesichter nach.
Die erste Methode war eine einfache Zeichnung in der Art eines Phantombildes. Der Unterschied zu einem echten Phantombild aber war, dass es außer dem Schädel keine Hinweiseauf die betreffende Person (das heißt keine Beschreibungen durch Zeugen) gab. Der Zeichner arbeitete also nur mit mittleren Weichgewebedicken. Die Form und Größe von Nase, Lippen, Stirn und Kinn musste er daraus ableiten. Der Künstler fertigte also keine Skulptur an, sondern eine Zeichnung, aber die grundlegenden Berechnungen waren dieselben.
In einem weiteren Versuch wurden Bilder der Schädel auf einen Computerbildschirm gebracht. Dort mussten abgespeicherte Fototeile aus einem Phantombild-Set so über den Schädel gelegt werden, dass sie genau mit den errechneten Weichteildicken übereinstimmten und das Phantombild perfekt auf den darunter liegenden Schädel passte.
Bei der dritten Nachbildungsmethode wurden an 34 festgelegten Stellen kleine Löcher in die Schädel aus Gips gebohrt und Holzstifte hineingesteckt. Diese Stifte wurden dann so abgeschnitten, dass sie den mittleren Weichgewebedicken entsprachen, die der Rechtsmediziner Richard Helmer in den Achtzigerjahren mit Ultraschall bei Lebenden ausgemessen hatte. Die frei stehenden Enden der Stifte wurden dann entweder mittels Software am Bildschirm untereinander verbunden oder in Kunststoff eingebettet. In die Skulpturen wurden Kunststoffaugen eingesetzt (bei Frauen mit einem Durchmesser von 25, bei Männern von zirka 26 Millimetern). Die Breite der Nase musste gröber geschätzt werden. Dazu diente ein ebenfalls durch Messungen an Lebenden gewonnener Mittelwert: Eine Nase ist oft gut zwei Drittel so breit wie die breiteste Stelle der Nasenöffnung im Schädel. Auch für die Augenlider wurde ein Schätzwert angenommen, und die Größe der Ohrmuscheln wurde von der Länge der Nase abgeleitet. Einige der Ergebnisse sind in Abbildung 6 zu sehen.
Weil die Holzstiftchenmethode zu simpel sein könnte, griffen die australischen Experimentatoren auf eine weitere klassische Modelliertechnik zurück. Dabei werden auf den Schädel zunächst Nachbildungen der Gesichtsmuskeln aufgebracht. Da die Muskeln des lebenden Menschen am Schädel ansetzen,hinterlassen zumindest einige von ihnen dort sichtbare Spuren. Diese erlauben Rückschlüsse auf die Dicke der Muskeln, besser gesagt: deren Ausgeprägtheit. Leider gilt das aber nicht für alle Gesichtsmuskeln. So ist die genaue Lage der Wangenund Lippenschließmuskeln aus den Markierungen auf den Schädelknochen nicht abzuleiten. So oder so wird dann über die Muskeln ein passendes Gesicht geformt.
Nach wochenlanger Arbeit hatten die vier Schädel jeweils vier dazu passende Gesichter erhalten – zwei gezeichnete und zwei modellierte,
Weitere Kostenlose Bücher