Mordsberge: Vier Fälle für Kommissar Gabriel (German Edition)
Klingelton jetzt bayerische Zithermusik einprogrammiert. Die Klänge verhießen nichts Gutes. Gabriel warf den Lappen ins Spülwasser und trocknete sich die Hände an der Schürze ab. Kurz überlegte er, ob er den Apparat einfach klingeln lassen sollte, aber es bestand immer die Möglichkeit, dass es sein alter Freund Johannes war. Seit Johannes im Seniorenheim St. Georg lebte, waren ihre gelegentlichen Schachpartien seine größte Freude. Und da Johannes schwerhörig war und seinerseits das Telefon oft überhörte, hatte es sich nicht bewährt, seine Anrufe zu ignorieren. Er war keiner, den man später zurückrufen konnte.
Gabriel nahm das Gespräch an – und wusste im selben Moment, dass er einen Fehler begangen hatte. In den nun folgenden siebeneinhalb Minuten blieb er überwiegend stumm, nur hin und wieder gab er einen einsilbigen Laut von sich. Mutter wartete mit gespitzten Ohren an seiner Seite, der ganze Hund aufmerksam gespannt und jederzeit, so schien es, zum Sprung bereit.
»Kluges Tier«, lobte Gabriel, sobald er das Telefonat beendet hatte. »Weißt ganz genau, was die Stunde geschlagen hat, was? Wir müssen uns sputen, in einer Dreiviertelstunde geht unser Zug. Keine Sorge, den Burgunderschinken vom Markt packe ich ein. Den nehmen wir mit.«
Nach einer im Sitzen verbrachten und überwiegend durchwachten Nacht erreichte der Kommissar am nächsten Morgen um kurz nach sieben Uhr den Münchner Hauptbahnhof. Er fühlte sich um Jahre gealtert, so ungewaschen und unrasiert, was allerdings immer noch besser als ungeliebt war. In dem Moment, als er aus dem ICE stieg, schoss ihm ein Kopfschmerz ins Hirn. Dieser verdammte Föhn, dachte Gabriel. Denn am Rioja – den Rest der zu Hause angebrochenen Flasche hatte er zwischen Hannover und Kassel geleert – konnte es doch wohl nicht liegen?
Am nächstbesten Kiosk trank er einen doppelten Espresso im Stehen und nahm dann die S 6, die ihn, wie Sandra ihm am Telefon erklärt hatte, in vierzig Minuten bequem nach Feldafing bringen würde. In der S-Bahn wollte er sich mit Mutter bei einem Frühstück stärken und hatte zu diesem Behufe am Bahnhof auch noch eine Brezel gekauft. Doch kaum hatte er auf dem hintersten Sitz des Waggons Platz genommen und den inzwischen recht labberigen Schinken aus dem Koffer geholt, als er sich auch schon an die Rückwand des Wagens lehnte und die Augen schloss. Und was ihm auf der langen Fahrt von Hamburg nach München nicht hatte gelingen wollen, geschah jetzt mühelos: Er sank in einen tiefen und wohligen Schlaf.
Als er wieder zu sich kam, hatte Mutter den Schinken aufgefressen und die Bahn die Endstation Tutzing erreicht. Sein Ziel, Feldafing, hatte er glatt verschlafen. Immerhin fühlte sich Gabriel nicht mehr so gerädert, sondern nur noch ungewaschen und unrasiert. Da würde er als Erstes Abhilfe schaffen. Eile war überflüssig, die Leiche war längst abtransportiert und in die Münchner Rechtsmedizin gebracht worden. Und selbst die größte Hetze der Lebenden machte sie nicht wieder lebendig, dachte Gabriel.
2.
Sandra, übers Wochenende erblondet, erwartete ihn zu einem zweiten Frühstück mit Weißbier und Weißwurst auf der Hotelterrasse in Feldafing. Sie war nach Aufklärung des Tutzelwang-Falles nicht zurück nach Hamburg gefahren, sondern in Bayern geblieben. Angeblich, um mit einer Gruppe Münchner Kollegen auf Wandertour zu gehen. Es stand zu vermuten, dass auch Oberkommissar Maximilian Veitlinger dazugehört hatte – wenn nicht überhaupt der fesche »Fightlinger«, wie Wolf Gabriel ihn bei sich gern buchstabierte, der einzige weitere Teilnehmer bei dem ganzen Unternehmen gewesen war. Bei diesem Gedanken verspürte Gabriel einen leichten Stich von Eifersucht, der untypisch für ihn und zudem im Hinblick auf sein Verhältnis zu seiner jungen Mitarbeiterin höchst unpassend war. Er war jedoch zu dem Schluss gekommen, dass diese Eifersucht nicht dem Manne galt. Sollte das Mädel sich doch die Haare färben und ihren Spaß haben, mit wem auch immer sie wollte. Es war ihre Begeisterung für Bayern, die ihn kränkte. Ihrer gemeinsamen norddeutschen Heimat gegenüber empfand er das doch als einen gewissen Verrat.
»Nicht wahr, Mutter, nicht nur hier haben die Kellnerinnen ein schönes Dekolleté? Und im Norden kennen wir auch leckere Würste«, sagte Gabriel, während er ein Stück Weißwurst aus der Pelle zuzelte – im Laufe des Sommers hatte er eine gewisse Geschicklichkeit in dieser Disziplin entwickelt – und den Rest
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