Mordsberge: Vier Fälle für Kommissar Gabriel (German Edition)
geborene Goschmann. Den Namen Goszinny hatte sie sich zugelegt, nachdem sie ihre wahre Seelenheimat in der Puszta gefunden hatte.
Je länger Gabriel auf seinen Zettel starrte, desto mehr sehnte er sich – ja, auch er verstand sich auf dieses Gefühl – nach Mutter. Sicherlich hatte sich ihre treue Hundeseele auch schon in mancherlei Leben herumgetrieben. Aber sie machte nicht so ein Gewese darum, sondern wusste ihr jetziges Dasein mit Anmut und Würde zu tragen. Er musste zusehen, dass er hier fertig wurde, damit sie noch ein wenig Auslauf bekam.
Als Nächsten rief er den Mann herein, der ihm bei Tisch vis-à-vis gesessen hatte. Er hieß Frank Bischoff und stammte aus Unterfranken.
»Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum«, sagte Frank Bischoff. »Sie haben sich bestimmt schon gefragt, was ein vernünftiger Mann wie ich in so einer Umgebung zu suchen hat.«
Diese Frage hatte sich Wolf Gabriel freilich noch nicht gestellt, da er niemanden per se für vernünftig oder gar vernunftbegabt hielt. Frank Bischoff legte nach: »Ich bin Journalist, wissen Sie. Freier Journalist. Ich schreibe eine Story über alte Häuser und die Energien, die sie … beherbergen. Bevor ich hierherkam, war ich ein paar Monate in der Normandie, da gab’s neben der alten Dame, die dort umging, auch noch Flöhe in der Matratze. Demgegenüber ist dies hier Luxus pur. Weihnachten geh ich nach England. Schottland, genauer gesagt.«
»Für welches Blatt schreiben Sie?«, fragte Gabriel.
»Ich schreibe nicht für ein ›Blatt‹, ich schreibe für diverse Magazine«, korrigierte Frank Bischoff.
»Was auch immer der Unterschied sein mag«, sagte Gabriel. »Klären Sie mich auf über die Energien.«
Aber dann hörte er doch nicht richtig zu, als der Mann sich über die wichtigen Illustrierten, für die er schrieb, und die wichtigen Leute, die er angeblich überall auf der Welt kannte, ausließ. Was der Kommissar vor allem verstand, war, dass Frank Bischoff ein Spesenritter war. Der Mann schien gar keinen festen Wohnsitz zu haben, sondern logierte mal hier, mal da, je nachdem, wohin der Wind ihn wehte, oder wo, in seinen eigenen Worten, eine Goldader lockte.
Über Konrad Bettermann hatte er sich leider keine Gedanken gemacht. »Ich interessiere mich mehr für Frauen. Da gibt’s eine hübsche kleine … äh … Bedienung in einem Hotel hier in der Nähe, mit der ich mich gelegentlich treffe. Wenn nur ihre Arbeitszeiten etwas günstiger wären.«
Immerhin erinnerte das Stichwort »Arbeitszeiten« Gabriel daran, den Mann zu fragen, wo er sich in der Nacht von Samstag auf Sonntag aufgehalten hatte. Das hatte er in seinem Bestreben, sie so schnell wie möglich loszuwerden, bei den Walledamen glatt vergessen. Ein ärgerlicher Anfängerfehler, den es unbedingt auszubügeln galt, bevor Sandra ihn bemerkte.
Im Unterschied zu Martin Sonnleitner und Oliver Niewöhner, die angeblich beide den Schlaf der Gerechten geschlafen hatten, im Unterschied auch zu Ilse Müller, die trotz herrlichen Mondscheins wegen eines Schnupfens auf ihr geliebtes Mitternachtsbad hatte verzichten müssen und ebenfalls früh zu Bett gegangen war, gab Frank Bischoff freimütig zu, an dem bewussten Abend unterwegs gewesen zu sein. Er habe sich mit seinem »Gspusi« treffen wollen, die jedoch zunächst Überstunden machen musste. Und danach habe man sich leider verfehlt.
»Ich war zwei Mal dort, aber erst war sie noch nicht abkömmlich, und wir haben uns für Sonntagmorgen verabredet. Und dann zog’s mich doch noch mal zu ihr hin, und sie wohl auch zu mir, und wie es so ist: Jeder wollte den anderen überraschen, nur bin ich leider oben herum, also über die Straße, und sie ist unten herum, also am See entlang gegangen. Genau wie im Lied, kennen Sie das?« Frank Bischoff begann tatsächlich zu singen: »Ob er aber über Oberammergau oder aber über Unterammergau oder aber überhaupt ned kimmt, des ist ned g’wiss …«
Er hatte eine schöne Baritonstimme, die Gabriel jedoch nicht wirklich zu würdigen wusste.
»Tja, die Liebe«, sagte Frank Bischoff. »Na, ich will ehrlich sein, Herr Kommissar, die große Liebe ist es nun nicht ge rade, und bei ihr sicher auch nicht – unter uns, ich frage mich, was das Maderl an so einem alten Knacker wie mir überhaupt findet. Aber letztlich kann es mir ja egal sein. Hin und wieder verstrickt man sich eben ganz gerne.«
Gabriel bedankte sich und bat – mit stillem Fluchen – den nächsten Bewohner herein. Sicher hatte sich
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