Mordsberge: Vier Fälle für Kommissar Gabriel (German Edition)
von ihnen das Zimmer verlassen hatte, verwechselte er sie schon mit ihrer Nachfolgerin. Sie waren aber weder miteinander verwandt noch verschwägert. »Nur Seelenverwandte«, hatten alle drei unisono behauptet.
Während Wolf Gabriel den Tee schlürfte, den Martin ihm gebracht hatte, studierte er den Zettel mit seinen Notizen. Erika Quandt kam, wie Bettermann, aus Hannover. Jedenfalls fast. Wunstorf-Luthe, ein Ortsname, mit dem der Kommissar außer Staumeldungen und einer Autobahnausfahrt nichts verband. Sie war verheiratet gewesen und hatte sich dem spirituellen Leben zugewandt, nachdem ihre Ehe »den üblichen Verlauf genommen« hatte, wie sie es nannte. Darunter verstand sie offenbar die Tatsache, dass Männer, die Angst vor dem Älterwerden hatten, sich gern mithilfe jün gerer Frauen sowie einer Portion Viagra der Vorstellung hingaben, sie hätten noch den Tiger im Blut. Mit anderen Worten, Herr Quandt hatte sich als Schwachkopf entpuppt, und mehr gab es dazu nicht zu sagen.
Und Dr. Bettermann? Erika Quandt hatte versonnen aus dem Fenster geguckt. »Das war eben die Tragik, Herr Kommissar«, sagte sie, »Konrad war vom anderen Ufer.«
Gabriel war ihrem Blick über den See gefolgt. »Vom anderen Ufer? Ich verstehe nicht …«
»In meiner Jugend sagte man, ein 175er«, seufzte Erika Quandt. »Wir waren alle in ihn verliebt. Aber er nicht in uns, leider, leider.«
Gabriel erinnerte sich dunkel, diese vorsintflutlichen Bezeichnungen schon einmal irgendwo gehört zu haben. Vermutlich in einem früheren Leben.
Die beiden anderen Walledamen hatten zunächst – die eine kokett, die andere eher verschämt – bestritten, für Konrad Bettermann je mehr als nur Sympathie gehegt zu haben. Schließlich aber hatten sie zugegeben, dass Bettermann ein sehr attraktiver Mann gewesen war. »Und so kultiviert …«
Aber welche von den beiden war Lotti Hintermoser und welche Eugenie von Kraushaar? Die eine trug ein fliederfarbenes Wallekleid, die andere ein lindgrünes. Die Lindgrüne stammte aus Niederbayern und die andere aus »Hessisch-Sibirien«, womit offenbar die Gegend nördlich von Kassel gemeint war. Oder war es umgekehrt?
Alle drei Damen hatten beschlossen, den Rest ihres Daseins weder in einem Seniorenheim noch auf Kreuzfahrtschiffen zu fristen, sondern in der Villa Undine das Leben zu genießen. Hier fühlten sie sich, so diejenige, die vermutlich Eugenie v. Kraushaar war, »pudelwohl«, und außerdem werde man in der Villa nicht seekrank.
Was ihre diversen Vorleben anging, so bemühte sich der Kommissar schon gar nicht mehr, sie im Einzelnen auseinanderzuhalten oder gar zu verstehen. Eugenie war es wohl, die einen Sommer lang die Geliebte des einstigen Hausherrn gewesen war. Sie büßte hier allerdings nicht für ihre vergangene Schuld, sondern genoss vielmehr das Privileg, nun selbst in der Villa zu wohnen, und zwar »rechtmäßig«, wie sie mehrfach betonte. »Wie oft bin ich damals hier vorbeispaziert und habe zum Haus hinaufgestarrt! Wenn eine weiß, was Sehnsucht heißt, dann bin ich es, Herr Kommissar …«
Bei diesen Worten hatte sie den Kommissar so unverhohlen angeschmachtet, dass Gabriel sich noch im Nachhinein schütteln musste. Der Himmel bewahre ihn vor älteren Damen, die Expertinnen für Sehnsucht waren!
Vielleicht musste er sich aber auch des Tees wegen schüt teln, den man im Hause trank. Eine typisch weibliche Früchte teemischung, hatte er gedacht, sobald er das Aroma gerochen hatte, und die erläuternden Worte Martin Sonnleitners hatten ihn in seinem Verdacht bestätigt. »Hexenglut«, hatte der junge Mann stolz verkündet. »Goschis Spezialmischung, mit Hibiskusblüten und schwarzen und roten Beeren!«
Und künstlichem Kirschgeschmack, hatte Gabriel gedacht, sich aber die Bemerkung verkniffen. Warum konnten die Leute nicht einfach einen klassischen schwarzen oder grünen Tee aufbrühen? Oder wenn es schon Früchte- oder Kräutertee sein musste, warum nicht die pure Hagebutte oder eine schöne Kamille? Warum mussten sie das Reine, Unverfälschte durch abstruse Kombinationen verhunzen und ihre Geschmacksnerven mit künstlichen Aromen betäuben? Gabriel konnte das nicht nachvollziehen. Vermutlich fielen Frauen wie Gräfin Goschi oder die Walledamen in erster Linie auf die fantasievollen Namen herein, die findige Hersteller eigens für sie auf die Etiketten schrieben.
Apropos Gräfin Goschi: Wie Ilse Müller ihn aufgeklärt hatte, war sie gar keine echte Gräfin, sondern in Wahrheit eine
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