Mordsberge: Vier Fälle für Kommissar Gabriel (German Edition)
wurde. Entweder hat er seinen Mörder gekannt oder ihn zumindest vertrauensvoll an sich herankommen lassen.«
»Oder die Mörderin«, sagte Gabriel in Anbetracht der weiblichen Überzahl im Hause.
»Darauf wollte ich gerade zu sprechen kommen. Wir suchen nach einer kleinkalibrigen Waffe, dem, was man früher so Damenpistole nannte.«
»Würde mich nicht wundern, wenn dergleichen zum Inventar der Villa gehörte«, warf Gabriel ein und musste an den Nachttopf denken.
»Ganz genau. Bettermann starb durch einen Schuss ins Herz. Unser Mann – oder unsere Frau – hat ihm die kleine handliche Taschenpistole dann aber auch noch in den Mund gesteckt und ein zweites Mal abgedrückt.«
»Um einen Selbstmord vorzutäuschen? So dumm zu denken, dass wir darauf reinfallen würden, dürfte wohl kaum jemand sein.«
»Warum auch immer. Wir finden es raus.«
»Pass auf dich auf, Mädchen.«
»Sowieso, Chef.«
»Hör zu, ich habe alle Bewohner des Hauses befragt bis auf zwei. Die überlass ich dir, ich muss dringend hier weg. Eine junge Kichererbse, fast noch ein Teenager, und außerdem die eleganteste der Damen. Kannst du nicht verfehlen, es gibt nur eine, auf die das Wort elegant zutrifft. Versuch beim Abendessen, etwas über die beiden rauszukriegen, aber unauffällig natürlich. Das Übliche, ihr Verhältnis zu Bettermann, wo sie in der Nacht waren und so.«
»Ich bin zwar Polizeikommissaranwärterin, aber keine blutige Anfängerin mehr, Chef.«
Nein, du nicht, aber ich, dachte Wolf Gabriel. Doch wie so vieles an diesem Tag behielt er auch diesen Gedanken für sich.
6.
Das Glück war auf Wolf Gabriels Seite. Als er die Villa Undine verließ, kam ihm vor der Haustür die elegante Dame entgegen, die neben dem jungen Mädchen noch auf seiner Liste stand. In einem Anflug von Pflichtgefühl – oder verbarg sich etwa ein Interesse an der Frau dahinter? – bat Gabriel sie um eine kurze Unterredung, woraufhin sie den Vorschlag machte, sich auf eine Bank im Garten zu setzen.
Er ließ ihr den Vortritt und ging schweigend hinter ihr her. Etwa auf der Höhe des Pavillons, in dem Bettermann erschossen aufgefunden worden war, wandte sie sich zu ihm um. »Eine furchtbare Geschichte, nicht wahr?«
Gabriel nickte und schaute sich suchend nach einer Sitzgelegenheit um. Zwei Bänke hatten sie schon im Eiltempo passiert.
Sie führte ihn zielstrebig weiter durch den zum Ufer hin abfallenden Garten. Nachdem sie den Rasen überquert hatten, bogen sie hinter einer ausladenden Kastanie um eine Ecke und gelangten zu einer gemauerten Terrasse, die von einer steinernen Brüstung umgeben war. Auf dem niedrigen Mäuerchen saß ein Junge, ebenfalls aus Stein, der verträumt auf seiner Flöte blies. Seine Füße baumelten über dem Abgrund, da die Villa auf einer Anhöhe stand und die kleine Aussichtsplattform das Dach eines an den Hang gebauten Türmchens bildete, in dessen Innerem, wie Gabriel erst jetzt sah, eine steile Wendeltreppe zum Uferweg hinunterführte. Ob er aber über Oberammergau oder aber über Unterammergau oder aber überhaupt nicht kommt …, dachte Gabriel.
»Das ist mein Lieblingsplatz. Ist das nicht ein bezaubernder Blick?«
Gabriel gab es nur widerwillig zu, denn er hatte beschlossen, der norddeutschen Tiefebene die Treue zu halten und die Berge nach Möglichkeit abzulehnen. Glücklicherweise befanden sie sich hier noch in einiger Entfernung – wenn man von dem Hügel absah, auf dem sie selbst gerade standen. In der Tat bot sich ihnen ein grandioses Panorama, und das Wetter spielte mit und schenkte ihnen einen perfekten Spätsommertag.
»Im blauen Mond September …«, sagte die Dame und zeigte auf eine Wolke, die in einem hohen Himmel über dem See schwebte. »Brecht«, fügte sie hinzu, als Gabriel sie verständnislos ansah. »Kennen Sie nicht? Die Erinnerung an die Marie A.? Eines der schönsten Liebesgedichte deutscher Zunge.«
Sie hob ihre Stimme und fing an zu deklamieren, doch Gabriel fiel ihr ins Wort: »Ihr Name war noch gleich …?«
So weit kam es noch, dass er hier saß und sich über Wolken und Zungen unterhielt!
»Entschuldigen Sie, Herr Kommissar, ich habe nicht daran gedacht, den wollen Sie natürlich wissen. Für mich ist er so unbedeutend. Gefühl ist alles, Name ist Schall und Rauch, wie der Dichter sagt.« Diese Zeilen hatte Gabriel schon einmal irgendwo gehört, hätte sie aber keinem Dichternamen zuordnen können. In den Augen dieser Dame, von der er immer noch nicht wusste, wie sie hieß, war
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