Mordsberge: Vier Fälle für Kommissar Gabriel (German Edition)
der Mümmelgreis genau wie die Damen frühzeitig auf sein Zimmer zurückgezogen und weder etwas gehört noch gesehen. Immerhin würde er ihm, so stand zu hoffen, keine amourösen Verstrickungen auftischen.
In diesem Punkt sollte sich Gabriel allerdings gründlich täuschen. Joseph Hundinger hatte ein Alibi, und zwar eines, das den Kommissar schlucken ließ, dabei glaubte er doch seit Jahren, ihn könnte nichts mehr verblüffen. Hundinger gab an, die Nacht mit einer Dame verbracht zu haben, wollte aber – Kavalier alter Schule – ihren Namen nicht nennen. Schluss. Punkt. Aus.
»Also schön, in welchem Gasthof arbeitet sie denn?«, fragte Gabriel. »Als Bedienung« hätte er beinahe noch süffisant hinzugefügt.
Der Alte rückte von ihm ab und schüttelte unwirsch den Kopf.
Was für eine mildtätige Seele erbarmte sich wohl eines solch zahnlosen Alten, außer einer Krankenschwester oder einer Professionellen?, dachte Gabriel. Oder – auch diese Möglichkeit musste widerwillig ins Auge gefasst werden – eines ebenso alten und ebenso zahnlosen Hutzelweibleins, das sich die Lust am Leben bewahrt hatte? Es sei denn, Joseph Hundinger hätte etwas zu vererben. Sein Gebiss sprach freilich eine andere Sprache.
»Sie können sich noch so sehr auf die Hinterbeine stellen, ich werde Ihnen den Namen der Dame nicht verraten«, nuschelte Hundinger.
Gabriel musste sich zwingen, ihm, während er sprach, nicht allzu penetrant auf den Mund zu starren. Eine solche Misere kannte er nur von alten Abbildungen, aus Dokumentarfilmen oder Büchern. Am liebsten hätte er Herrn Hundinger gefragt, ob Konrad Bettermann sich bei seinem Anblick nicht herausgefordert gefühlt habe, sein Können noch einmal unter Beweis zu stellen. Oder ob der Mann ihm nicht wenigstens mit der Adresse eines Kollegen hätte weiterhelfen können. Aber er blieb beim Thema: »Sie haben also vorgestern Nacht eine … Bekannte besucht.«
Hundinger nickte bedächtig.
»Wie spät war es, als Sie zurückgekehrt sind?«
Der Alte überlegte einen Moment und schien zu dem Schluss zu kommen, dass er mit seiner Antwort niemanden kompromittierte. »Viertel nach zwölf, halb eins.«
Gabriel war beeindruckt. »Ist Ihnen auf dem Hinweg oder bei Ihrer Heimkehr in die Villa irgendetwas Merkwürdiges aufgefallen?«
Hundinger sah ihn stirnrunzelnd an und senkte dann wie ertappt seinen Blick auf die Tischplatte, wobei er eine kleine Unregelmäßigkeit in der Maserung des Holzes fixierte. Was hatte das zu bedeuten? Denn dass diese Reaktion etwas zu bedeuten hatte, war klar.
»Der Täter war vielleicht schon da und wartete auf sein Opfer«, legte Gabriel nach. »Wir gehen davon aus, dass Dr. Bettermann irgendwann zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens starb. Da hat ihn die Gräfin bekanntlich beim Tautreten im Garten gefunden. Vielleicht haben Sie den Mörder sogar gesehen, ohne es zu wissen. Sind Sie jemandem begegnet?«
Joseph Hundinger schüttelte den Kopf.
»Niemandem? Auch keiner Dame?«
»Mit Sicherheit nicht.« Da war ein kleines schalkhaftes Aufblitzen in Hundingers Augen, das Gabriel nicht entging. Aber er wusste nichts damit anzufangen.
»Schön, Herr Hundinger. Wenn Ihnen noch etwas einfällt …« Und so weiter, blablabla, dachte der Kommissar. Gut, dass Sandra hier bald die Stellung übernahm. Allmählich konnte er ihrem Undercover-Einsatz durchaus etwas abgewinnen.
Und da stand sie auch schon vor der Tür.
»Gräfin Goschi hat gesagt, ich sollte mich hier kurz vorstellen«, lispelte sie sehr liebenswürdig. »Ich bin aber gerade erst eingetroffen und weiß nicht, worum es geht. Ist es etwas Schlimmes, Herr … Inspektor?«
»Angenehm, Wolf Gabriel. Kriminalhauptkommissar«, sagte der Kommissar mit betont lauter Stimme.
»Ebenfalls angenehm«, säuselte Sandra. »Kerstin Fischer. Diplomökotrophologin.«
»Kommen Sie doch herein«, sagte Gabriel. Diplomökotrophologin! Das hatte ihm gerade noch gefehlt.
Nachdem Gabriel die Tür sorgfältig hinter sich geschlossen und sich zweifach vergewissert hatte, dass sie auch wirklich zu war, bot er Sandra galant einen Arm und half ihr, zum Teetisch zu humpeln.
»Oh, das scheint was Ernstes zu sein«, sagte er.
»Ja.« Sie nickte. »Aber man lernt immer fürs Leben.«
»Genau. Und deshalb sind Sie jetzt hier.« Er senkte die Stimme. »Gibt’s was Neues?«
Sie griff in ihren Beutel und zog einen Hefter daraus hervor. »Der Obduktionsbericht. Er bestätigt, dass Bettermann aus nächster Nähe erschossen
Weitere Kostenlose Bücher