Mordsberge: Vier Fälle für Kommissar Gabriel (German Edition)
hätten, lieber Herr Kommissar. Sie finden mich doch nicht etwa zu alt für einen Geliebten?«
Das klang nicht kokett, sondern ehrlich beleidigt.
»Nein, natürlich nicht«, beeilte er sich zu sagen. »Im Gegenteil.« Was natürlich auch wiederum eine alberne Aussage war. Was war das Gegenteil von ›zu alt‹? Zu jung? Doch wohl nicht ›Gerade richtig‹?
»Ich meinte nur …« Himmel, er sollte besser schweigen, ehe er sich noch um Kopf und Kragen stotterte.
»Wir sind uns schon in verschiedenen Zeiten und Gestalten begegnet«, klärte sie ihn auf. »Er war einmal ein keltischer Stammesfürst, später ein tapferer Kämpfer bei den Bauernaufständen im Allgäuer Haufen, nicht zu vergessen mein Lebensretter im Dreißigjährigen Krieg, als marodierende Soldaten im Dienste des habsburgischen Kaisers mich vergewaltigen wollten. Und jetzt sind wir uns als Joseph und Verena wiederbegegnet. Es ist unsere freieste Begegnung bislang.« Sie richtete sich auf und straffte sich. »Und endlich bin ich einmal nicht mehr die Bauernmagd. Ich war Lehrerin, wissen Sie, für Französisch und Deutsch.«
»Ja, wenn man in solchen Zeitdimensionen denkt und die Seelen sich schon so lange kennen …«, sagte Gabriel, und dann rutschte es ihm raus, »dann spielt der Altersunterschied sicherlich keine so große Rolle mehr.«
Verena Heise sah ihn erstaunt an. »Von welchem Altersunterschied sprechen Sie?«
»Klären Sie mich auf, wenn ich mich irre. Wie alt ist Herr Hundinger? Ich schätze ihn auf Mitte achtzig. Sie dürften doch mindestens zwanzig, fünfundzwanzig Jahre jünger sein.«
»Danke, sehr schmeichelhaft. Für mich jedenfalls. Aber Sie irren sich, lieber Herr Kommissar. Joseph mag eine ältere Seele haben als ich. Aber in diesem Leben sind wir beide dreiundsiebzig.«
Sie bemerkte seine Verlegenheit und redete weiter. »Einmal war ich eine Bauernmagd, die angeblich den Fürstensohn verhext hatte. Sein Vater verurteilte mich zum Tode und schickte mich, mit dem Kind im Bauch, ins Moor. Einmal war ich seine Schwester, unsere Liebe eine verbotene Liebe, und als er in den Bauernkrieg zog und die Meldung kam, dass er erschlagen wurde, stürzte ich mich mit dem Kind im Bauch in den Brunnen. Welch eine Befreiung, als wir uns jetzt wiederfanden. Frei und unbeschwert.«
»Verstehe«, behauptete Gabriel, obwohl er gar nichts verstand. »Tut mir leid, dass ich mich so geirrt habe, Frau Heise. Behalten Sie es für sich, das muss Herr Hundinger ja nicht wissen.«
»Ach, das passiert ihm öfter«, sagte sie unbekümmert. »Es ist natürlich ein Jammer mit seinem Gebiss, aber wissen Sie, es gibt Schlimmeres.«
Damit, dass es Schlimmeres gab, konnte man sich immer trösten. An welchem Punkt, so fragte sich Gabriel, mochte ein Mensch wohl denken: Dies ist das Limit, jetzt gibt es nichts Schlimmeres mehr?
Laut fragte er: »Was ist passiert? Joseph Hundinger sieht nicht so aus, als ob er kein Geld für Zahnersatz hätte.«
»Er hat teuer bezahlt. Was meinen Sie, welche Unsummen es ihn gekostet hat, sich so verpfuschen zu lassen!«
»Ein Kunstfehler?«
»Ein Fehler nach dem anderen, ja gewiss. Von Kunst wollen wir freilich nicht sprechen.«
»Was steckte dahinter, Fahrlässigkeit, mangelndes Können? Oder Geldgier, Jagd nach Profit?«
»Alles zusammen, denke ich mal. Geldgier, die Unfähigkeit, seine Grenzen zu erkennen …«
Es war die ideale Gelegenheit, auf den Ermordeten zurück zukommen. »Schade, dass Herr Hundinger Herrn Dr. Bettermann zu spät kennengelernt hat. Der war doch Experte für Implantate, soweit ich weiß?«
Verena Heise lächelte wieder, jetzt nicht unergründlich, sondern nur mehr traurig. »Dr. Bettermann war es ja, der Joseph so verkorkst hat.«
»Bettermann?« Gabriel schrie es fast. Hier war ein Motiv, und zwar zum Greifen nahe.
»Vor zehn Jahren, ja. Es fing mit einer missglückten Wurzelresektion an und endete damit, dass Joseph praktisch sämtliche Zähne gezogen werden mussten. Aber …«
»Aber das ist ja grauenhaft.« Und grauenhaft war auch, wie unprofessionell er ihr ins Wort gefallen war. »Und man konnte ihn nicht verklagen? Wie konnte Herr Hundinger es aushalten, mit dem Mann, der ihm dies angetan hat, unter einem Dach in der Villa Undine zu leben? Das muss doch enorme Spannungen gegeben haben?«
»Herr Bettermann hat sich entschuldigt und wohl auch aufrichtig bereut, und Joseph hat ihm verziehen. Ich sagte ja schon, er ist eine sehr alte – und sehr noble – Seele. Ich weiß nicht, ob ich
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