Mordsfreunde
»aber ich fürchte, das Ding da ist wirklich eine Hand.«
Dr. Henning Kirchhoff zog ein Paar Latexhandschuhe aus der Tasche, streifte sie über und ging in die Hocke.
»Sie haben sich nicht geirrt«, sagte er nur Sekunden später zum Zoodirektor. »Das ist zweifellos die linke Hand eines Menschen. Sie wurde kurz oberhalb des Handgelenks abgetrennt. Und das nicht unbedingt mit chirurgischer Präzision.«
Kirchhoff fischte die Hand aus dem Gras und betrachtete sie genauer.
»Wer hat die Hand gefunden?«, fragte Bodenstein.
»Der Elefantenpfleger«, erwiderte Sander. »Er hat die Tiere wie jeden Morgen aus dem Stall ins Gehege gelassen, nachdem er das Gras verteilt hatte. Dass irgendetwas nicht in Ordnung ist, hat er erst gemerkt, als die Elefanten unruhig wurden.«
»Was meinen Sie«, wandte Bodenstein sich an Dr. Kirchhoff, »wie lange ...«
»Ich hoffe, Sie fragen mich jetzt nicht nach einem exakten Todeszeitpunkt«, unterbrach der Rechtsmediziner ihn undbetrachtete nachdenklich den Stumpf, an dem die Hand über dem Handgelenk abgetrennt worden war.
»Gehörte die Hand zu einem Mann oder zu einer Frau?«
»Eindeutig männlicher Herkunft.«
Bodenstein drehte sich beinahe der Magen um, als er sah, wie Kirchhoff mit dem Leichenteil umging, daran schnupperte und tastete. Er warf seiner Kollegin einen raschen Blick zu, aber Pia Kirchhoff betrachtete zu seiner Überraschung weder die abgetrennte Hand noch ihren Ehemann, sondern Zoodirektor Sander, der mit verschränkten Armen dastand und aussah, als kämpfe er mit einem Brechreiz.
»Wie lange werden Sie hier brauchen?«, wollte Sander wissen. »Um neun kommen die ersten Besucher, außerdem erwarten wir ein Team vom Fernsehen.«
»Die Spurensicherung müsste in ein paar Minuten da sein«, antwortete Bodenstein. »Wie kann die Hand hier in das Gehege gelangt sein?«
»Keine Ahnung«, der Zoodirektor zuckte die Schultern, »vielleicht mit dem Gras. Wir mähen jeden Morgen frisches Gras auf der Wiese oberhalb der Straße.«
»Das könnte eine Erklärung sein«, Bodenstein nickte nachdenklich. »Aber das würde auch bedeuten, dass es noch weitere Leichenteile geben könnte. Am besten, Sie lassen alle Grashaufen im Zoo von Ihren Leuten untersuchen.«
Sander nickte grimmig und marschierte wenig später in Begleitung von Kirchhoff und der Hand davon.
Um Punkt neun Uhr öffnete der Zoo seine Pforten, und die ersten Besucher strömten herein, vorwiegend Familien mit Unmengen kleiner Kinder im Schlepptau. Bodenstein und Pia blieben am Restaurant Sambesi zurück. Inka Hansen hatte ihn nur zu Sander geführt und sich dann zu Bodensteins Erleichterung ohne eine Anspielung auf das, was im letztenSommer geschehen war, verabschiedet. Seit ihrer letzten Begegnung waren knapp neun Monate vergangen. Heute konnte er nicht mehr verstehen, welcher Teufel ihn damals geritten hatte, aber er hätte Cosima zweifellos mit ihr betrogen, wenn Inka ihn nicht zurückgewiesen hätte. Er beobachtete die lange Menschenschlange, die sich vor dem Kassenhäuschen gebildet hatte, und fühlte sich um zehn Jahre zurückversetzt. Damals hatte er mit seinen Kindern gerne und häufig Ausflüge in den Opel-Zoo unternommen. In dem Moment summte sein Handy.
»Wir haben einen Fuß gefunden«, verkündete der Zoodirektor missvergnügt, »bei den Elchen. Rechts am Elefantengehege vorbei, dann links Richtung Waldlehrpfad. Ich warte auf Sie.«
»Ich bin das erste Mal im Opel-Zoo«, sagte Henning Kirchhoff, als er den Fuß in Augenschein nahm. »Das ist ja ein riesiges Gelände!«
»Zweihundertsiebzigtausend Quadratmeter«, Sander stemmte grimmig die Arme in die Seiten, »und überall können Leichenteile herumliegen. Ich habe den Streichelzoo sperren lassen. Es wäre ein Alptraum, wenn ein Kind den Kopf finden würde.«
Der Fuß steckte in einem abgetragenen braunen Lederslipper der Marke »Camel active«, Größe 44, und war oberhalb des Knöchels abgetrennt.
»Der Fuß wie auch der Arm wurden nicht mit einem glatten Schnitt abgetrennt, sondern eher abgerissen«, sagte Kirchhoff und betrachtete den abgetrennten Fuß genau, dann hob er den Kopf. »Kann ich mir das Mähwerk mal ansehen?«
»Ja, natürlich«, Dr. Sander blickte sich um. Die Zoobesucher strömten durch die Wege wie Blut durch die Adern eines menschlichen Körpers. In Kürze würden sie überall auf demGelände unterwegs sein, an den Tiergehegen, auf dem Waldlehrpfad, den Grill- und Rastplätzen, der Kamelreitbahn, in den
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