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Mordsidyll

Mordsidyll

Titel: Mordsidyll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Zandecki
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Möbelstücken. Offensichtlich war niemand mehr im Haus. Sie war allein. Langsam senkte sie die Waffe.
    Seltsam, schoss es ihr durch den Kopf, dass sie den Einbruch erst so spät bemerkt hatte. Wie konnte jemand derart lautlos sein? Vor allem wenn man so behäbig war wie dieser Eindringling!
    Anna verspürte mit einem Mal einen Brechreiz. Der Gedanke, dass jemand das ganze Haus auf den Kopf gestellt hatte, dass jemand in ihre sicher geglaubte Intimität eindringen konnte, bereitete ihr Übelkeit. Sie rannte zur Toilette, um sich zu übergeben. Danach ging es ihr besser. An Schlaf war jetzt allerdings nicht mehr zu denken. Anna beschloss, das Chaos zu beseitigen. Nichts mehr sollte sie an den Fremden erinnern.
    Nach gerade mal einer Stunde sah ihr Haus wieder ordentlich aus. Müde blickte sie auf die Uhr. In wenigen Stunden musste sie sich schon wieder um die Kühe kümmern. Sie kroch zurück in ihr Bett, die Schrotflinte vorsichtig in Griffweite an die Wand gelehnt. Bei eingeschaltetem Licht lag sie wach. Trotz ihrer Erschöpfung konnte sie nicht einschlafen. Anna fühlte sich allein, schrecklich allein. Gerne hätte sie geweint, doch ihre Tränen schienen versiegt. Sie wünschte sich, Ronald wäre bei ihr. Mit seiner souveränen Art hätte er ihr Halt geben können. Doch das beklemmende Gefühl der Einsamkeit blieb. Unruhig wälzte sie sich umher, bis das Piepsen des Weckers sie aufschreckte.
    Anna wäre gerne liegen geblieben, aber das ging nicht. Auch heute nicht. Es ging nie. Schlaftrunken zog sie sich an und machte sich ohne Dusche und Frühstück an die Arbeit. Die ausgefüllten Tage ließen ihr wenig Freiraum zum Nachdenken, ließen Überlegungen nur selten zu, wie sie ihr Leben anders gestalten könnte. Es war so einfach, sich dem Trott zu ergeben. Ihre nächtliche Sehnsucht nach Ronald kam ihr bei Tageslicht mit einem Mal albern vor. Noch war die Zeit für Veränderungen nicht reif.
    Anna nahm das Gewehr mit in den Stall und legte es in Sichtweite unter das Radio, bevor sie mit dem Melken begann. Sie ärgerte sich, dass es noch zu kalt war, um die Kühe auf die Weide zu bringen. Ihre Heuvorräte waren langsam aufgebraucht, bald würde sie teures Futter kaufen müssen. Pellets kamen ihr jedenfalls nicht ins Haus!
    Nachdem sie zwei Stunden ohne Unterbrechung mit dem Melken beschäftigt gewesen war, trat sie ins Freie, um ihre Müdigkeit mit Frischluft zu bekämpfen. Die Wolken der letzten Tage verzogen sich langsam, und die ersten Sonnenstrahlen blinzelten über die Wipfel. Zum ersten Mal in diesem Jahr roch es nach Frühling. Die Schrotflinte, die sie mit einem Gurt über der Schulter trug, kam ihr plötzlich deplatziert vor. Alles war so friedlich. Bald würden die ersten Schwalben zurückkehren, bald würden die Feldblumen sprießen und von ihren Kühen auf der Weide gefressen werden. Anna liebte diese Zeit. Heute war ein guter Tag, um Gülle auszufahren. Der Behälter quoll ohnehin fast über.

    *

    Lebrecht saß in seinem Wagen auf dem Wanderparkplatz und kaute auf einem Schnitzelbrötchen herum. Sein nächtlicher Einbruch war reichlich in die Hose gegangen. Er war zwar ohne Probleme über das Fenster eingestiegen   – ein Klacks für einen Profi wie ihn   –, hatte aber die CD nicht finden können. Zu allem Überfluss wusste diese seltsame Bäuerin jetzt, dass jemand hinter ihr her war. Als sie wie am Spieß geschrien hatte, war er in Versuchung geraten, die Tür einzutreten und den Verbleib der CD mit Gewalt aus ihr herauszupressen. Aber nein, er durfte der Frau ja kein Haar krümmen!
    Es war schon eine verdammt seltsame Geschichte, in die er hier hineingeraten war, überlegte er, während er einen Schluck Mineralwasser aus einer Plastikflasche trank. Warum erstach eine kleine Bäuerin einen russischen Kriminellen? Und warum hatte sie nach seinem nächtlichen Einbruch nicht die Polizei gerufen? Er hatte fest damit gerechnet, dass innerhalb weniger Minuten Einsatzfahrzeuge auftauchen würden. Doch stattdessen lief diese Lobbisch jetzt mit einem Schrotgewehr über der Schulter herum.
    Lebrecht legte das Fernglas auf den Beifahrersitz und stieg aus, um ins Gebüsch zu pinkeln. Gerade als der Strahl auf das Gras plätscherte, klingelte sein Handy im Auto.
    Â»Na klar, ausgerechnet jetzt«, fluchte er laut. Der penetrante Ton schallte durch das

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