Mordsidyll
»Kann man nicht einfach einen neuen bauen? Es ist doch noch Zeit bis zum Schützenfest.«
Irritiert suchten die Blicke von Junge den Raum ab. Ruste wartete, bis der Direktor ihn als Ãbeltäter ausfindig gemacht hatte, bevor er grinsend aufstand.
»Herr Ruste, können Sie sich vorstellen, wie wir in der Ãffentlichkeit dastehen, wenn der Vogel verbrannt wird? Man wird uns in der ganzen Region auslachen! Sie sind doch auch Schützenbruder! Eigentlich müsste Ihnen die Tragweite des Falles klar sein. Machen Sie sich also an die Arbeit!«, rief Junge und wandte sich wieder Bremicke und Ströbel zu.
Ruste verlieà kopfschüttend den Raum. Es war kaum zu glauben. Auch wenn er aus Tradition Mitglied des Vereins war, diese Aktion ging zu weit! Die gesamte Olper Polizei jagte die Entführer eines Schützenvogels! Und das auf Anordnung von oben!
Genervt trotte er in sein Büro, gefolgt von Schröder, der vor Tatendrang strotzte. »Wo sollen wir anfangen?«
»Bei den Nazis«, antwortete Ruste.
»Glauben Sie, die stecken auch dahinter?«
»Schröder«, Ruste drohte der Geduldsfaden zu reiÃen, »wir werden uns natürlich nicht an dieser albernen Suche beteiligen, sondern den versuchten Mord aufklären. Verstanden?«
»Aber der Direktor hat doch eben gesagt â¦Â«
»Aber der Direktor hat doch eben gesagt«, äffte Ruste seinen jungen Kollegen nach. »Hören Sie, wir machen hier ernsthafte Ermittlungsarbeit. Und ich sage, was als Nächstes ansteht. Sie können sich von mir aus später beschweren. Wir gehen unsere Nazis durch, mit dem Vogel beschäftigen wir uns nebenbei.«
»Aber â¦Â«
Schröder wollte protestieren, doch Ruste duldete keine Widerworte. »Also los! Worauf warten Sie noch?« Er nahm die Notizen über die DNU-Mitglieder vom Schreibtisch und ging zur Tür. »Haben Sie übrigens mal eine Besucherliste von Wassiljew aus dem Gefängnis angefordert?«
»Nein, habe ich nicht â¦Â« Schröder blickte verdattert drein. »Ja sicher, wir müssen zuerst die befragen, die zu Wassiljew Kontakt hatten. Dass keiner von uns vorher darauf gekommen ist â¦Â«
*
Anna kam gerade vom mittäglichen Melken, als ein VW-Bus die geschotterte Auffahrt zum Hof herauffuhr. Auf den Seitenflächen prangte das Logo des Fernsehsenders WDR. Wie hatte sie das nur vergessen können?
Anna lief zurück in den Stall und versteckte die Schrotflinte unter einem Strohballen. Dann eilte sie dem Bus entgegen, aus dem zwei Männern ausstiegen sowie eine Frau mit lockigen Haaren, die sie aus dem Fernsehen kannte.
»Hallo, ich bin Anne Willmes, Moderatorin der âºLokalzeit Südwestfalenâ¹Â«, begrüÃte die junge Frau Anna. »Das sind Carsten, unser Kameramann, und Achim, der Tontechniker.«
»Ich habe Sie total vergessen«, entschuldigte sich Anna sofort.
»Wir waren doch für heute verabredet, oder? Wir wollten einen Beitrag für unsere Reportageserie âºStarke Frauen in Südwestfalenâ¹ drehen.«
»Ja, ja, natürlich. Aber ich bin gar nicht vorbereitet. Schauen Sie mal, wie ich aussehe.«
Die Journalistin musterte Annas Kittel und ihre grünen Gummistiefel. »Also, Sie sehen genauso aus, wie man sich eine starke, selbstständige Bäuerin vorstellt.«
»Kann ich mich trotzdem noch zurechtmachen?«, fragte Anna.
»Eigentlich haben wir dafür keine Zeit. Das Licht ist zudem gerade perfekt. Uns wäre es lieb, wenn wir sofort starten könnten. Wir filmen Sie bei Ihrer Arbeit und ich stelle Ihnen ein paar Fragen. Sie bleiben einfach ganz natürlich. Das kommt authentisch rüber â¦Â«
»Ich bin auch gleich wieder da!«, rief Anna dazwischen und eilte ins Haus, ohne eine Reaktion der Moderatorin abzuwarten. In der Diele blieb sie vor dem Spiegel stehen. Die schlaflose Nacht hatte ihre Spuren hinterlassen. Unter den Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab, ihre Gesichtsfarbe war blass und die Haare hingen in fettigen Strähnen herunter. Schnell rannte sie ins Bad, warf sich kaltes Wasser ins Gesicht und kniff sich in die Wangen, damit sie etwas rosiger erschienen. Dann ging sie hinunter, zog eine frische Bluse und eine Jeans an. Im Flur nahm sie ihr Kopftuch vom Kleiderhaken, um damit die ungewaschenen Haare zu verdecken. Erneut prüfte sie ihr ÃuÃeres. Schon besser, so könnte es gehen.
Als sie
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