Mordspech (German Edition)
viel zu viel Lebenszeit verbracht.«
»Ich weiß, es ist nicht alles so optimal gelaufen zwischen uns«, gibt Goerdeler zu. »Das tut mir leid. Aber beim nächsten Mal wird alles besser. Das verspreche ich Ihnen.«
Für mich hört sich das an wie eine Drohung.
Goerdeler zwinkert mir zu und verlässt mit Paulsen und Claudine Stamm den Raum.
Palitzsch sieht mich melancholisch an.
»Na kommen Sie«, sagt er nach einer Weile und nimmt mich am Arm. »Die Kollegen warten schon. Wir gehen was trinken, ich geb einen aus.«
Epilog
Vier Wochen später ist Siggi schon wieder ziemlich obenauf.
Ich schiebe ihn in seinem Krankenfahrstuhl über die Kieswege des alten, verwunschenen Landschaftsparks der Neurologischen Rehabilitationsklinik Beelitz-Heilstätten, damit er mal an die frische Luft kommt, und werde vollgequatscht:
»Die DDR ist untergegangen? – Nein, Dieter! Sie lebt weiter. Heimlich, still und leise. So, dass ihr es nicht merkt. Weil sie genau eure Götzen bedient: Geld, Geld, Geld. Irgendwann werden wir sogar den Kanzler stellen. Oder eine Kanzlerin. Ja, vermutlich wird sie weiblich sein. Eine Quotenfrau aus dem Osten. Und sie wird euch beherrschen, weil ihr sie immer unterschätzt habt mit eurer westlichen Arroganz. Und weil sie euch wunderbar bestechen kann. Gelernt ist eben gelernt.«
Die hohen Bäume rauschen, Siggi gestikuliert. Ein verrückter Veteran des Kalten Krieges.
»Ihr seid halt ein korruptes System«, redet er auf mich ein. »Darauf läuft alles hinaus. Ganz einfach. Man muss euch nur kaufen. Wenn man euch mit Geld nicht kriegen kann, erpresst man euch eben mit den Kindern. Oder irgendetwas anderem. Na ja, wenigstens hast du diese Tante Tilly fangen können. Das ist wenigstens mal eine Leistung, Dieter, ich will da gar nicht drumherum reden. Tolle Sache, wirklich. Hätte ich dir gar nicht zugetraut. Da fängt mein oller Dieter einfach mal das Phantom. Wie war sie denn so?«
»Ganz normal«, antworte ich. »Zu normal.«
»Gut«, findet das Siggi und kuschelt sich zufrieden in seine Decke. »Sehr gut. Unauffälligkeit ist das A und O in diesem Geschäft, weißt du. Manche unserer wichtigsten Agenten hatten sogar Kinder. Nur der Tarnung wegen. Weil es so normal war. Menschen mit kleinen Kindern traut man eben nichts Böses zu.«
»Ja«, nicke ich, »Tante Tilly hatte auch Kinder. Zwillinge. Hanna und Anna. Ein bisschen jünger als unsere. Sie sind gerade mit Monika und unseren zwei an der Ostsee. Man muss ihnen schonend beibringen, dass ihre Mutter nicht mehr für sie da ist.«
»Und? Willst du sie adoptieren oder was?«
»Ich weiß es nicht.«
Allein der Gedanke macht mir Angst. Dann hätte ich schlagartig fünf Kinder. Ein Alptraum! So ein Gewusel zu Hause. Papa hier und Papa da, das ist doch jetzt schon eine Herausforderung. Was hatte ich früher für ein schönes beschauliches Leben.
Andererseits: Melanie ist schon erwachsen und könnte sicher mal auf die Kinder aufpassen.
»Irgendwer muss sich ja um die zwei kümmern«, überlege ich laut. »Ich meine, die sind mit unseren beiden immerhin jahrelang bei den ›Stoppelhopsern‹ gewesen. Die kann man doch jetzt nicht einfach in ein Waisenheim abschieben.«
»Den Namen müsst ihr mal ändern.«
Ich verstehe nicht gleich.
»Welchen Namen?«
»Von eurem Kinderladen.« Siggi schüttelt den Kopf. »Wisst ihr nicht, was Stoppelhopser sind?«
»Hasen?« Ich habe da noch nie wirklich drüber nachgedacht. »Oder Kaninchen?«
Siggi lacht heiser auf.
»Ihr ahnungslosen Zivilisten«, ruft er verächtlich, »habt einfach keine Ahnung! Stoppelhopser gehören zur Infanterie!«
»Was?«
»Mot-Schützen! Panzergrenadiere«, ruft Siggi, »die Typen, die im Ernstfall als Erste erschossen werden! Die nannten wir früher Stoppelhopser. Militärjargon, verstehste? Weil die immer schießend neben den Panzern über die Stoppel von den Feldern hopsen müssen. Ist so ziemlich der mieseste Job als Soldat. Und ihr nennt euren Kinderladen so.« Er lacht amüsiert und hustet.
Ja, das geht wirklich nicht, da sollte man mal über eine Namensänderung nachdenken. Ein neues Thema für einen Elternabend. Komisch, dass uns Uta noch nicht darauf aufmerksam gemacht hat. Aber die hat ja auch nie gedient. Genauso wenig wie Karl.
»Nennt den Laden lieber nach der Marine«, lästert Siggi, »die hat wenigstens schickere Uniformen: Little Torpedos zum Beispiel oder Die kleinen Minenleger.« Er amüsiert sich prächtig. »Luftwaffe ist auch in Ordnung. Die
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