Mordspech (German Edition)
hat es heute Alltagsstatus, überall piept und dudelt der Nokia Tune genannte Gran Vals des spanischen Komponisten Francisco Tárrega, es wird gesimst und gequasselt, dass der Äther rauscht.
Schon gibt es Gerüchte, die Welt sei eine einzige Mikrowelle, wir würden uns die Hirne verbrutzeln mit all der Telefoniererei. Erste Bürgerinitiativen haben sich gegründet, um gegen den Bau weiterer Mobilfunkmasten zu demonstrieren, und selbstverständlich verabredet man sich per Handy zum Protest. Entrinnen unmöglich. Das Telefon im Taschenformat hat jede Kommunikation pervertiert, es sind kaum noch zwischenmenschliche Gespräche möglich, ohne dass es dazwischen piepst. Es nervt beim Autofahren, stört beim Essen, beim Sex und das getragene Adagio des »Notturno« von Franz Schubert bei einem Konzert der Berliner Philharmoniker.
Natürlich kann man es einfach ausschalten. Aber dann muss man sich hinterher rechtfertigen, die Mailbox ist voll mit wütenden Nachrichten: Warum war man nicht erreichbar, wozu hat man schließlich ein Handy, wenn man es nicht anmacht? Es könnte ja wichtig sein, sicher, aber meistens ist es das nicht.
Mit anderen Worten: Ich hasse diese Dinger!
Dass ich dennoch ein Mobiltelefon bei mir trage, ist einzig und allein meinem Beruf geschuldet. Seit Jahren schon scheitert die Berliner Polizei an der Aufgabe, ein abhörsicheres Funknetz aufzubauen. Es fehlt an Geld und Technikern, die neuen Geräte sind nicht kompatibel, alles funktioniert nur noch sporadisch. Über die Jahre ist der Berliner Polizeifunk sozusagen kaputt modernisiert worden. Die Presse schürt Häme, die Verbrecher lachen sich einen Ast, und wir Kriminalbeamten haben die Anweisung bekommen, bis auf Weiteres übers private Handy zu kommunizieren. Wer keines hat, soll sich eines anschaffen und genau Buch darüber führen, welche Gespräche denn nun dienstlich waren und welche nicht. Sobald entsprechende Formulare existieren – noch wird über die genaue Ausgestaltung derselben in einer externen, also outgesourcten, Arbeitsgruppe verhandelt –, kann man seine Dienstgespräche finanziell rückwirkend geltend machen. Allerdings wird das noch etwas dauern, wir sind hier schließlich in Berlin, der Hauptstadt der Improvisation. Die ewige Baustelle grüßt ihre Gäste, unsere größte Stärke ist die Unfertigkeit.
Improvisiert wird auch bei der Kinderbetreuung. Vor fünf Jahren bin ich noch mal doppelter Vater geworden, ein Nesthäkchen wurde erwartet – es kamen zwei. Unsere Zwillinge heißen Liam und Zoé, ganz süße Kinder, dunkle Locken und grünäugig wie ihre Mama, aber sie fordern den ganzen Mann. Und so stehe ich im Kinderladen »Stoppelhopser«, einer von berufstätigen Eltern auf eigene Initiative gegründeten Tagesbetreuungsstätte, zwischen lärmenden Kleinkindern, als das Handy in meiner Jackentasche lospiept. Um mich herum ein Chaos, das jeder Beschreibung spottet. Bauklötze fliegen durch die Gegend, ein halbes Dutzend quietschender Gören hängt an meinen Beinen, weil sie mich – hurra! – »gefangen« haben, zwei, Anna-Chiara und Tabea-Luise genannte, Mädchen zerren sich brüllend gegenseitig an den Haaren, und die enervierend schrille Stimme der Erzieherin gellt durch den Raum.
Melanie ist dran, aber nicht zu verstehen.
» WAS ?«, rufe ich in den Hörer, mich nach einem stillen Eckchen umsehend, denn meine älteste Tochter ruft mich normalerweise nie an. Ich bin ihr völlig egal. Es sei denn, sie will etwas. Die Frage ist, was?
»Brauchst du Geld?« Studentinnen sind immer klamm, das weiß ich aus meiner eigenen Unizeit. Eine zweite Möglichkeit wäre die alte Schrottkiste, die sie sich kürzlich angeschafft hat, um »mobil« zu sein. Allerdings habe ich sie mit der Karre noch nie fahren sehen.
»Ist was mit deinem Wagen?« Ich halte mir das linke Ohr zu, ans rechte presse ich das Handy: »Kannst du etwas lauter sprechen? Hier ist ein Lärm, der …«
Melanie stammelt irgendwas, und meine väterliche Intuition sagt mir sofort, dass sie in Schwierigkeiten steckt. Weint sie etwa? Es gibt mir einen Stich ins Herz. Ich kann es nicht ertragen, wenn meine Kinder leiden. Was ist da los? Melanie ist nicht der Typ, der gleich in Tränen ausbricht, wenn es ein Problem gibt. Es muss also was Ernstes sein, und deshalb erspare ich mir weitere Fragen zum Grund ihres Anrufes und erkundige mich lediglich, wo sie gerade ist.
»Zu Hause«, höre ich es schluchzen.
»Bleib wo du bist, ich bin in zehn Minuten
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