Mordspech (German Edition)
mit, aber einer der Polizisten hält mich zurück. »Ich nehme an, Sie sind Hauptkommissar Knoop?«
»Derselbe.« Ich zücke meinen Dienstausweis.
»Dachte ich’s mir doch. Ihre Tochter sagte uns, dass sie Sie angerufen hat.«
»Und? Was ist hier los?«
»Ja, schwer zu sagen. Bei dem Getöteten handelt es sich offenbar um einen Fahrradboten.«
Eine gelb-blaue Kuriertasche und ein Rennrad neben der Leiche scheinen die Vermutungen des Polizisten zu bestätigen.
»Ein Unfall?«
»Dafür fehlt ein Unfallgegner.« Der Polizist hebt ratlos die Schultern. »Und das Rad scheint auch in Ordnung. Irgendwas muss ihn in voller Fahrt da runtergeholt haben. – Mensch, schickt doch mal die Fotografen in die Wüste«, brüllt er seine Uniformierten an. »Hier gibt’s nichts zu knipsen!«
»Ja, ick werd wohl noch erfahren dürfen, wat vor meiner Haustür los is«, protestiert ein älterer Herr, den ich als Kawelka identifiziere. Fritz Kawelka, ein Lokalreporter, der seit Jahren die kleine Ladenwohnung unten im Parterre nutzt und immer von der ganz großen Story träumt. Jetzt passiert endlich mal was. Und zwar direkt vor seinem Büro. Mensch, bequemer geht’s nicht, und natürlich will er die Leiche des toten Fahrradkuriers mit einer Sofortbildkamera ablichten, doch zwei Polizisten stellen sich ihm, »Hauen Sie ab, Mann!«, in den Weg.
Kawelka protestiert heftig und pocht wild gestikulierend auf das verfassungsrechtlich verbriefte Recht der Pressefreiheit. Es entsteht ein kleiner Tumult, bis eine resolute ältere Dame dazwischengeht. Vermutlich die Polizeipsychologin oder so jemand. Auf jeden Fall scheint sie für solche Fälle ausgebildet zu sein, denn sie weist Kawelka freundlich, aber bestimmt darauf hin, dass er sich gerne an die Pressestelle des Landeskriminalamtes wenden könne, und drängt ihn zurück in seine Ladenwohnung.
»Haben Sie die Spurensicherung verständigt«, wende ich mich wieder dem Polizisten zu, »und die Rechtsmedizin?«
»Ja«, er sieht auf seine Uhr, »die sollten längst hier sein.«
Wie auch immer, ich muss mich erst mal um meine Tochter kümmern. »Halten Sie die Augen offen«, ermahne ich die Uniformierten. »Ich komme später wieder dazu.« Schon sitze ich neben Melanie, die Türen klappen, und der Krankenwagen setzt sich mit Blaulicht in Bewegung. Behutsam tupfe ich ihr das Blut aus dem Gesicht. »Tut’s weh?«
»Nicht wirklich.« Melanie schüttelt den Kopf. »Mir fehlt nichts. Das ist wirklich alles Radfahrerblut …«
»Und der ist dir einfach so in die Arme gefallen?«
»Voll auf mich drauf«, nickt Melanie. »Ich wollte eigentlich in die Uni. Ich komme aus dem Haus, und plötzlich hebt’s den vom Rad. Baff! Wir liegen auf dem Boden, und aus seinem Kopf strömt total viel Blut. Ich hab echt Panik bekommen …« Sie fängt wieder an zu weinen.
»Schon gut, Spatz. Schon gut«, beruhige ich sie. »Da kümmern wir uns drum. Wichtig ist nur, dass du wieder auf die Beine kommst.«
»Ich sage doch, mir fehlt nichts.«
»Das lassen wir mal besser die Fachleute entscheiden.«
Draußen fliegt die Stadt vorbei. Die Sirene tönt.
»Wir müssen Mutti anrufen«, sagt Melanie.
Da hat sie sicher recht. Ich ziehe mein Handy hervor und wähle eine Nummer.
2 SIE KÄMPFTEN gegen einen übermächtigen Feind. Wie riesige Libellen schwebten schwere Bell-, Sea-King- und Sikorsky-Helikopter der Bundeswehr über den aufgeweichten Deichen und warfen Sandsäcke ab. Tausende Soldaten, Bundesgrenzschützer, Kameraden des Technischen Hilfswerkes und freiwillige Helfer waren mit Pionier- und Räumpanzern, Lastkraftwagen und Booten im Einsatz und versuchten verzweifelt, die Dämme zu stabilisieren. Vergebens. Im Südosten Brandenburgs, bei Brieskow-Finkenheerd und Aurith, waren die Deiche bereits auf siebzig und zweihundert Metern Länge gebrochen und hatten die dahinter liegende Ziltendorfer Niederung unter Wasser gesetzt. Über zweihundertfünfzig Häuser wurden von den Fluten weggerissen, die Ernte eines ganzen Jahres war vernichtet, auf dem Wasser trieben aufgeblähte Tierkadaver.
Und mittendrin in dieser apokalyptischen Katastrophe steckte Monika. Eigentlich sollte sie für den Berliner Tagesspiegel vom Kampf gegen die Jahrhundertflut berichten. Doch es war unmöglich. Hier wurden keine fragenden Journalisten mit Diktafonen gebraucht, sondern Hände, die mit anpackten. Inzwischen wurde auch Frankfurt von der Oder bedroht, da kämpften allein sechzigtausend Einwohner um ihre Stadt, und im
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