Mordspech (German Edition)
Schaufel wie ein Schneeflug. Damit schob sie das pampige Erdreich zusammen und drückte es mit durchdrehenden, im Schlamm versinkenden Ketten gegen den Deich.
»Weg hier!« Irgendwer packte Monika am Arm, zerrte sie mit sich fort. »Kommen Sie schnell! Das kann jeden Moment alles zusammenbrechen. Dann heißt’s: Land unter.«
Monika fand sich mit anderen Helfern auf der überfüllten Pritsche eines Lastwagens wieder, der über regennasse Straßen raste. Flucht ins Landesinnere. Weg von in sich zusammenfallenden Deichen, weg von der alles verschlingenden Flut. Die Menschen um sie herum sahen grau aus und erschöpft. Alles Freiwillige. Zuversichtlich waren sie vor einigen Tagen hier eingetroffen, voller Optimismus, dass der Mensch es schaffen würde. Mit vereinter Kraft, ein Bezwinger der Natur. Jetzt waren die Blicke leer und trostlos. Ihre Bemühungen waren umsonst.
»Das war’s jetzt mit den Augustäpfeln«, sagte jemand, »alles im Eimer.«
Der Laster stoppte vor einem Gasthaus. »Absitzen! Zwanzig Minuten Mittagspause.«
Auch in der Katastrophe gab es Mahlzeiten. Und dann?
»Wir warten auf weitere Einsatzbefehle. Wer nicht mehr kann, soll sich beim Roten Kreuz melden.«
Monika löffelte an ihrer Soljanka und sah aus dem Fenster.
Draußen stoppten mehrere Radpanzer und Kastenwagen der Bundeswehr. Soldaten mit grauer ABC -Schutzkleidung saßen ab, holten sich ebenfalls Soljanka.
Monika reckte den Hals. Seltsam. Was hatte ein Hochwasser mit der Abwehr von A wie Atomwaffen, B wie biologische Waffen und C wie Chemiewaffen zu tun? Was wollte die ABC -Truppe hier?
Eigentlich fühlte sich Monika viel zu kaputt, um noch Fragen zu stellen, doch dann siegte wieder die journalistische Neugier. Sie raffte sich auf und trat an einen der ABC -Soldaten heran.
»Gibt es Probleme? Einen Chemieunfall? Wo ist Ihr Einsatzgebiet?«
»Altgrieben«, antwortete ein junger Soldat unbekümmert, »soweit ich das mitbekommen habe, sollen wir irgendeinen unterirdischen Bunker sichern helfen.«
»Altgrieben?« Monika überlegte. »Aber das ist …«
»… reine Routine«, mischte sich ein älterer Offizier der Truppe ein. »Wo es Überschwemmungen gibt, gibt’s auch Giftstoffe. Denken Sie nur an all die Reinigungsmittel, die sich in Ihrem eigenen Haushalt befinden. Spülmittel, Kalklöser, WC -Reiniger. Da kommt einiges zusammen. Dann die Heizöltanks der Leute im Garten. Das Benzin in den Autos. In Garagen wird Unkrautvernichter gelagert, Insektizide, Schmierstoffe. Und das wird jetzt alles mit der Flut unkontrolliert durch die Gegend gespült, kein Zuckerschlecken für die Umwelt, sage ich Ihnen. Deshalb sind wir hier, wir werden das in Grenzen halten.« Er klopfte Monika beruhigend auf die Schulter und empfahl dann dem jungen Soldaten, die Gespräche mit der Bevölkerung lieber den Offizieren zu überlassen.
Eigenartig. Monika wandte sich wieder ihrer Soljanka zu. Aber vielleicht wäre das ein neuer Ansatzpunkt für das Thema. Bislang wurde über die Oderflut ja eher reißerisch im Stile von Kriegsberichterstattern geschrieben. Welche Deiche mussten aufgegeben werden, wo gab es Siege im Kampf gegen das Wasser? Da wurden Mannschaftsstärken aufgelistet, das eingesetzte Material gezählt und die Anzahl der benötigten Sandsäcke. Zwischendurch die neuesten Pegelstände. Und immer wieder heroische Berichte über den größten zivilen Einsatz der Bundeswehr seit ihrem Bestehen. Die Folgen der Flut für die Umwelt dagegen wurden bislang noch nicht journalistisch aufgearbeitet. Das wäre mal was Neues, da könnte man ansetzen. »Mit dem Wasser kam das Gift« oder so ähnlich könnte der Artikel heißen. Nicht schlecht.
Monika zog ihr Handy aus der Hosentasche und schaltete es an, um die Redaktion in Berlin anzurufen. Es piepste mehrmals. Offenbar waren Nachrichten auf der Mailbox.
Dieter hatte gleich mehrmals draufgesprochen: Melanie sei mit einen Fahrradkurier zusammengestoßen. Der Kurier sei gestorben, aber Melanie gehe es den Umständen entsprechend gut. Zur Sicherheit habe man sie jetzt ins Krankenhaus gebracht …
Melanie! Unfall! Krankenhaus! Und ein Toter! Wahnsinn. Besorgt tippte Monika auf ihrem Handy herum. Die nächste Nachricht brachte Entwarnung. Das Mädel habe wohl nur einen Schock. Äußerlich gebe es keine Verletzungen.
Na, der war gut. Hastig gab Monika Dieters Nummer ein. Ohne Erfolg, denn sein Handy war abgeschaltet.
Mist!
Unruhig sprach sie ihm die Mailbox voll. Sie wolle versuchen, so schnell
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