Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
Vampirverbrechen. Obwohl die Haftbedingungen für Tracey Wigginton mittlerweile gelockert wurden, sitzt sie immer noch im Gefängnis. Einen Antrag auf vorzeitige Entlassung hat sie bis heute nicht gestellt.
Eine Vergewaltigung
Wie stark die Umwelt einen Menschen formt, ist noch lange nicht zur Gänze erforscht. Daher fällt es Gerichten oft schwer, das Ausmaß einer schädlichen Einwirkung auf einen Täter zu würdigen. Die Annahme, dass die »schlechte« Kindheit oder Jugend eines Menschen in Gewalt und Hass münden muss, widerlegen beispielsweise meine Kollegen von der Abteilungfür Todesermittlungen in Nord-Brooklyn mit dem hingeworfenen Satz, dass ihre Kindheit auch schwer gewesen sei.
Abb. 23: Ein Todesermittler in der Abteilung Nord-Brooklyn in New York. Tätern, die angeben, durch eine schwere Kindheit beeinflusst zu sein, wird hier in der Regel geantwortet, dass auch die Ermittler eine schwere Kindheit hatten. Die Doppeldeutigkeit dieser Aussage ist den Kollegen nicht bewusst. (Foto: M. Benecke)
Ganz so leicht kann man sich aber nicht darüber hinwegsetzen, dass selbst eine im Vergleich zur Dauer eines ganzen Lebens scheinbar kurz andauernde Ungerechtigkeit oder Gewalteinwirkung alles für immer ändern kann. Das folgende Beispiel zeigt das deutlich. Hier macht nicht nur die eigentliche Vergewaltigung der – übrigens sehr sympathischen – Berichterstatterin zu schaffen. Mindestens genauso prägend war für sie die totale Verleugnung der Tat durch ihre Eltern. Doch die Eltern haben wiederum ihre ganz eigenen Gründe für ihr merkwürdiges Handeln – obwohl sie für die Vergewaltigung natürlich nicht das Geringste können.
Auch hier gilt, wie schon mehrfach im Buch gesagt: Es geht nicht um Mitleid, das keinem der Opfer hilft und das auch kaum ein Opfer will. Es geht darum, die Taten (hier vor allem den Einfluss auf die Berichtende) ohne Tränen und Schaudern wahrzunehmen und zu verstehen. Nur so werden wir eines Tages begreifen, warum manche Opfer später zu Tätern werden – und andere nicht.
Kinderwünsche
Der folgende Text ist die Aufzeichnung eines langen Gesprächs. Die Berichtende hat den Text mehrfach gegengelesen und mir erlaubt, ihn hier zu veröffentlichen. Dafür möchte ich ihr vielmals danken. Ich bin überzeugt, dass dieser Bericht deutlich macht, wie – und wie lange – ein Geschehen aus der Kindheit sich dem Alltag eines heranwachsenden und erwachsenen Menschen aufprägt.
»Mein Vater kommt aus einer glücklichen Familie mit zehn Kindern. Er wollte darum unbedingt auch zehn eigene Kinder haben.
Meine Mutter wünschte sich nur fünf Kinder, weil sie dachte, dass eine Familie mit zehn Kindern asozial wirkt. Also bekam sie jedes Jahr ein Kind, und nach dem fünften Kind wollte sie aufhören. Ich war das fünfte Kind. Sie hat immer nur geackert, damit die Leute eben nicht denken, dass unsere große Familie asozial sei.
Nach der nun folgenden einjährigen Kinderpause sind meine Eltern in einen kleinen katholischen Nachbarort gezogen. Da wohnen bis heute höchstens sechshundert Leute, eher weniger. Unser alter Ort war protestantisch gewesen, da war alles ganz locker. Der neue Ort war nun katholisch und überhaupt nicht locker. Meine Mutter war schon vorher streng katholisch, und wir mussten ab sofort in der Kirche immer in der ersten Reihe sitzen.
Eigentlich hatten meine Eltern es mit dem Umzug gut gemeint, weil wir einen Wald und eine Wiese zum Spielen haben sollten. Es kamen dann doch noch fünf weitere Kinder, von denen einige allerdings mittlerweile gestorben sind.
Geheimnisvolle Berichte aus dem Schlafzimmer
Ich war schon immer dünn. Deswegen wurde ich damals öfter zur Oma geschickt; die sollte mich aufpäppeln. Opa war schon lange an Krebs gestorben, und ich lag dann oft zusammen mit meiner Oma im Bett.
In einer Kiste im Schlafzimmer hatte sie diese
Das-Neue-Wochenend
-Heftchen. Darin waren auch immer Geschichten mit Überschriften wie ›Vergewaltigt auf dem Schulweg‹. Weil in den Heften auch nackte Männer zu sehen waren, hat sie die Seiten umgebogen und mir nur die Texte gezeigt. Sie hat mir gesagt, wenn mir ›so was‹ mal passiert, dann soll ich eine Beinsperre machen: Wenn man die Beine an den Knien ganz fest zusammendrückt, kann man sie noch nicht einmal mit einem Brecheisen auseinanderkriegen. Das wusste sie wohl aus dem Krieg, sie hat da etwas über die Russen erzählt.
Während bei Mutti also immer heile Welt war, sagte meine Oma: ›Vorsicht! Da
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