Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
Ehemanns und der Kinder einen Strick und etwas Leinsamen in den Sarg zu legen.
Im Dunkeln öffneten sie Grab und Sarg auf dem Friedhof. Als sie die Leiche aber mit roten Wangen vorfanden, schien es ihnen ratsamer und sicherer, den Kopf der Leiche vom Rumpf zu trennen. Einer von den Männern setzte einen der beim Öffnen des Grabs verwendeten Spaten auf den Hals der Leiche und hielt den Stiel des Spatens fest, die übrigen Männer schlugen so lange auf das obere Ende des Spatenstieles ein, bis die Trennung des Kopfes bewirkt war. Dann legten sie den Kopf unter einen Arm der Leiche und schlossen sorgfältig wieder Sarg und Grab.
In diesem Tatbestand erblickte, als eine Anzeige erstattet wurde und der Sachverhalt geprüft war, die Staatsanwaltschaft eine ›unbefugte Beschädigung eines Grabes und einen an demselben verübten beschimpfenden Unfug‹. Das Kreisgericht schloss sich dieser Ansicht an und verurteilte den Bruder G. Gehrke zu einer Gefängnisstrafe.
In der zweiten Instanz machte Gehrke geltend, er habe – wie er unter Beweis stellte – im Einverständnisse mit den nächsten Angehörigen der Verstorbenen, also mit Autorisation der dazu berechtigten Personen, gehandelt und die erwähnten Maßnahmen an der Leiche keineswegs frivolerweise, sondern höchst ungern und widerstrebend, aus brüderlicher Liebe zu seinem erkrankten Bruder, als ein allgemein für heilsam erachtetes Mittel vorgenommen; er habe also nicht unbefugt und nicht mit dem Bewusstsein der mangelnden Befugnis gehandelt und nichts Beschimpfendes vorgenommen.
Das Appellationsgericht bestätigte indessen die erste Instanz, ohne den beantragten Beweis zu erheben: ›Es könne dahingestellt bleiben, ob etwa im Fall des Gelingens diesesBeweises (über die Bemächtigung seitens der nächsten Angehörigen) der Mangel des erforderlichen Bewusstseins hinsichtlich der Eröffnung des Grabes vorhanden sein würde; jedenfalls bleibe der beschimpfende Unfug bestehen, da Gehrke sich habe sagen müssen, dass er trotz der ausdrücklichen Aufforderung der nächsten Angehörigen der verstorbenen Frau Gehrke nicht so mit der Leiche verfahren durfte, wie er getan, und da er habe wissen müssen, dass er dadurch beschimpfenden Unfug an der Leiche und folgeweise an dem Grabe verübe.‹
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde des Gehrke ist dieses Urteil des Obertribunals vom 8. Februar 1871 vernichtet und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an ein anderes Appellationsgericht verwiesen worden.«
Dieses Berufungsgericht stellte nun tatsächlich fest, dass die Verurteilung ungültig war. Begründung: »Es kommt nicht darauf an, ob der Implorant sich alles das sagen und es wissen musste, sondern darauf, dass er es gewusst und in dieser Kenntnis unbefugt gehandelt hat.« Da der Angeklagte aber überzeugend dargelegt hatte, dass er »in gerechtfertigter Weise, in voller Überzeugung seiner Berechtigung und in löblicher Absicht« gehandelt habe, kam es zu guter Letzt also zu einem Freispruch. Guter Wille schützte hier also vor Strafe.
Bis hierhin wäre der Fall noch eine Fußnote der Rechtsgeschichte gewesen. Leider hatte sich der Aberglaube aber derweil zu einer bizarren Tatfolge ausgewachsen. Dazu noch einmal Jurist Steiner:
»Ein zweiter Vampirfall ereignete sich um dieselbe Zeit in dem Dorf Kantrzyno im Kreise Neustatt, Westpreußen. Dort starb am 5. Februar 1870 der Anteilsbesitzer und Kirchenvorsteher Franz von Poblocki im Alter von dreiundsechzig Jahren an der ›Auszehrung‹. Seine Beerdigung erfolgte am 9. Februar 1870 auf dem Friedhof des jenseits der Provinzgrenze liegenden DorfesRoslasin, Kreis Lauenburg in Pommern. Wenige Tage nach dem Tode des Vaters erkrankte sein ältester, achtundzwanzig Jahre alter Sohn Anton von Poblocki unter Krankheitserscheinungen ähnlich denjenigen seines verstorbenen Vaters. Ein herbeigerufener Arzt erklärte die Erkrankung des Anton von P. für die ›galoppierende Schwindsucht‹.
Am 18. Februar, also zwei Wochen nach dem Tod des Vaters, starb auch der Sohn. Vor seinem Tode, nach der Beerdigung seines Vaters, waren auch seine Mutter und seine jüngere Schwester erkrankt und machten den Eindruck von Dahinsiechenden. Überdies klagten der zweite Sohn und ein Schwager über heftiges Unwohlsein, über Angstzustände und schwere Beklemmungen.
Voller Unruhe versammelte sich die weitverzweigte Familie in dem Sterbehause, in dem der älteste, soeben verstorbene Sohn Anton im Sarge, seine Mutter und eine Schwester
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