Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
sind. Bei meinem letzten Besuch war Garavito mit siebzig Schuldsprüchen für hundertsechzig Tötungen verurteilt.
Obwohl die meisten Laien (wie ich) das Strafbefehlsverfahren nicht kennen, existiert es auch in Deutschland. Hier wird es allerdings nur für deutlich harmlosere Vergehen angewendet. Ein Beispiel dafür war zuletzt der TV-Moderator Michel Friedman, der mit Kokain und osteuropäischen Prostituierten in Verbindung stand. Im Juli 2003 wurde er ohne Hauptverhandlung zur Zahlung von siebzehntausend Euro verurteilt – eben per Strafbefehl.
Zwischen 2000 und 2006, als gerade gegen Garavito ermittelt wurde, kam es zu einer grundlegenden, teils auch rückwirkenden Änderung des kolumbianischen Strafrechts. Er kann deswegen nicht zu einer wirklich lebenslangen Haft bis zu seinem Tod verurteilt werden. Egal, wie viele Schuldsprüche noch folgen werden, die Höchststrafe beträgt fünfundzwanzig bis vierzig Jahre Gefängnis. Vor dieser Strafrechtsreform hätten die Einzelstrafen zusammengerechnet werden können, was eine Haftdauer von derzeit zweitausendsechshundert Jahren ergeben hätte.
Das erklärt auch, warum sich Garavito seit seiner Enttarnung so stark bei der Leichensuche engagiert und dazu bereitwilligdie Karten zeichnete. Denn bei guter Führung müssen Gefangene in Kolumbien – wie auch in Deutschland – vorzeitig entlassen werden. Da eine Sicherungsverwahrung weder in einem Gefängnis noch in einer Psychiatrie in Kolumbien rechtlich vorgesehen ist, darf Garavito also mit gewissem Recht auf seine Freilassung spätestens im Alter von etwa siebenundsechzig Jahren hoffen. Selbst wenn er erst etwas später freigelassen werden sollte, könnte er seinen Lebensabend vielleicht in Freiheit verbringen.
Dass er dort überleben könnte, ist nicht ausgeschlossen. Das zeigt der Fall von Karla Homolka, die in Kanada zusammen mit ihrem Gatten Paul Bernardo mehrere Jugendliche einschließlich ihrer eigenen Schwester getötet hatte (vgl. mein Buch
Mordmethoden
, S. 204–261). Homolka ist am 4. Juli 2005 nach zehn Jahren Haft und Therapie entlassen worden und trat danach sogar in einer Talkshow auf.
Obwohl Garavito wie alle an paraphilen Zwängen leidenden Menschen mit heutigen Mitteln nicht therapierbar ist und eine Kastration oder Gehirnverödung wie im Fall Bartsch zum Glück gar nicht erst angestrebt wird, gibt sich der Täter gewandelt. Er ließ sich am 18. August 2003 im Gefängnis von Calarcá von einer evangelischen Kirchengruppe taufen und meint, seine Dämonen nun los zu sein. Mir schrieb er in eine Bibel seinen dazu passenden Lieblingspsalm:
»Psalm 3: ›Ach Herr, wie sind meiner Feinde so viel und setzen sich so viele wider mich! Viele sagen von meiner Seele: Sie hat keine Hilfe bei Gott. Aber du, Herr, bist der Schild für mich und der mich zu Ehren setzt und mein Haupt aufrichtet.‹«
Für die Zeit nach seiner Freilassung hat Garavito schon Pläne. Sollte er nicht zu alt sein (er hofft sogar auf ein neues Verfahren, das ihm seiner Meinung nach noch vor Ablauf der fünfundzwanzig Jahre die Freiheit bescheren könnte), dann möchte der »Geläuterte« gern Politiker oder Pastor werden – »egal, in welcher Glaubensgemeinschaft«.
Die Arbeit mit einem Serientäter
Weil ich oft danach gefragt werde, möchte ich kurz andeuten, wie sich die Arbeit mit einem Serientäter für mich darstellt. Dabei ist es vor allem notwendig, dass ich in Garavitos Fall nicht mit den Angehörigen der Opfer (oder überlebenden Opfern) arbeite, weil ich dann vielleicht meine Sachlichkeit verlieren könnte. Bis dahin versuche ich, das zu tun, was meine kolumbianischen Kollegen nicht tun wollen, weil sie Garavito so hassen: einige scheinbar nebensächliche Fragen zu ermitteln (etwa seine Vorliebe für eine bestimmte Schnapssorte, deren Deckel er an vielen Tatorten hinterließ) und etwas über seine Gedankenwelt zu erfahren (Zeichnungen seiner Träume, einfache Intelligenztests und so weiter). Bitte wundern Sie sich nicht, wenn die folgenden Anmerkungen etwas gefühlsleer erscheinen – ich arbeite nicht mit Gefühlen, sondern mit Spuren.
Besonders auffällig erscheint mir, dass Garavito sich im Gespräch nicht lange auf ein Thema konzentrieren kann. So war er beispielsweise sehr daran interessiert, die Zahl der Opfer anderer Serientäter zu erfahren. Also bot ich ihm an, die Lebensgeschichten von Jürgen Bartsch und Vater Denke darzustellen. Garavito konnte sich trotz seines selbst geäußerten Interesses nur wenige
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