Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
dem Tisch hatte. Die Leiche war geköpft. Als ich mir später in meinen Unterlagen angesehen habe, welche und wie viele Verletzungen – besonders Einstiche und blaue Flecken – der Körper aufwies, musste ich weinen.«
Garavitos sonstige Interessen drehten sich in den ersten Jahren nach seiner Festnahme vor allem um das Weltgeschehen, wie es sich in den Medien darstellt: Katastrophen, Flugzeugunglücke, Serientaten und Kindesmissbrauch, der ihn nach eigener Aussage sehr mitnimmt (Garavito wurde als Kind sehr schlecht behandelt). Mit bösem Willen könnte man in diesen Themen die Fortsetzung einer üblen Grundeinstellung sehen. Andererseits interessieren sich aber auch »normale« Menschen für genau diese Themen, wie ein Blick in die Abendnachrichten zeigt.
Den Ermittlern schilderte Garavito durchaus glaubhaft sein Mitleid mit einem von ihm misshandelten Kind, das während der Tat (!) von einem früheren sexuellen Missbrauch erzählte. Das hatte ihn aber nicht gehindert, das Kind zu töten.Genau wie Jürgen Bartsch »mochte« Garavito seine Opfer also – wenngleich auf eine unsagbar grausame Art (vgl. dazu auch den Text des Briefes von Bartsch an sein letztes Opfer in Abb. 36, S. 250 ).
Abb. 42: Der Serientäter beim Gebet vor der Taufe. Links sein Priester Didier Amariles, zweiter von links Luis Alfredo Garavito, daneben weitere Gemeindemitglieder der protestantischen Kirche. (Repro: M. Benecke)
Tiefer gehende Untersuchungen zur Persönlichkeit, Lebensund Krankengeschichte Garavitos gibt es eigentlich nicht. Außer mit seinem Priester Didier Amariles und mir spricht er derzeit mit niemandem ausführlich, und auch hier versucht er zu taktieren. Selbst die zuvor sehr intensive Zusammenarbeit mit der Polizei aus seiner Heimatregion Armenia hat er im Jahr 2006 eingestellt, weil er sich von den Beamten hintergangen fühlte.
Da Garavito nach zwei Haftverlegungen nun in einem Hochsicherheitsgefängnis mit zahlreichen Zugangsbeschränkungen sitzt, könnte es passieren, dass weder er noch wir je erfahren werden, warum er zum Trinker mit erheblichen Stimmungsschwankungen, Kindermörder und zur emotionslosen »Bestie« geworden ist, die sich aber nichts mehr wünscht, als zu seiner Lebensgefährtin und dem »gemeinsamen« Kind zurückzukehren.
Da Garavito sich selbst vor der Einsicht abschirmt, dass der Dämon ihn keineswegs verlassen und er sehr wohl Kinder gefoltert hat, ist es vielleicht ohnehin zu spät für weitere Nachforschungen. Pfarrer Amariles ist jedenfalls überzeugt, dass »Gottes Gnade so unendlich ist, dass sie auch die Menschen erreichen kann, die schrecklichste Taten begangen haben«. Selbst wenn das stimmt, hilft es Garavito nicht, sich mit seinen Taten auseinanderzusetzen. Er schiebt die Schuld derzeit – wenn er sie überhaupt zugibt – auf seine Eltern oder einen teuflischen Einfluss, der ihn umfangen habe. Das weiß auch Amariles. Auf die Frage, ob er für Garavito die Hand ins Feuer legen würde, antwortete er, das würde er für niemanden tun…
Die für mich überraschendste Feststellung zur Persönlichkeit Garavitos kam von meiner Übersetzerin Claudia Zapata, die einmal einen langen Tag allein mit Garavito verbrachte.An diesem Tag durften nur Frauen die Gefangenen besuchen, und ich bat Claudia, einige Bildertests mit Garavito durchzuführen. Sie beobachtete dabei etwas, was mir bis dahin nie aufgefallen war, obwohl ich ihm schon oft gegenübergesessen hatte. Egal, auf welches Thema Garavito zu sprechen kam – die Sehnsucht nach »seiner« Familie, seine Taten, seine unschöne Kindheit –, seine Pupillen vergrößerten oder verkleinerten sich keinen Millimeter. Für Claudia ein sicheres Zeichen, dass ihr Gegenüber keine Gefühle hatte – egal, wie sehr er ihr diese auch vorgaukelte.
Was ich von Garavito gelernt habe
Meine Vermutung nach vielen Jahren des im Grunde laienhaften Kontaktes zu einem Serientäter, der schon durch die hohe Opferzahl eine Sonderstellung in der Kriminalgeschichte hat, ist die: Personen mit paraphilen Zwängen wissen genau, was sie tun. Sie können ihren Zwängen aber nicht widerstehen, egal, ob sie es mit Beten oder Saufen versuchen oder ob sie hoffen, nach der ersten Tat Erlösung zu finden. Sie sind gefangen in ihren wiederkehrenden Fantasien. Solche Fantasien haben zwar auch rachsüchtige Zuschauer im Gerichtssaal – der Unterschied ist aber, dass die Täter ihre Vorstellungen ausleben und dabei durch nichts aufzuhalten sind. Das macht sie auch
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