Mordsschock (German Edition)
gelbe Gemäuer im Sonnenlicht. Vor der mächtigen Freitreppe ruhten zwei graue Steinlöwen, die ihre Köpfe wie Wächter auf die kiesbestreuten Wege mit den Buchsbäumen in Terracottakübeln richteten. Im Hintergrund erhoben sich die grünen Baumwipfel des Barockparks.
Es wirkte so harmlos wie der Schauplatz einer dieser kitschigen Adelsserien, die dauernd im Fernsehen liefen. Und doch schnürte mir der Anblick der Postkartenidylle die Kehle zu.
„Schön nicht? Wird das Schmuckfoto der Wochenendausgabe.“ Herbie setzte einen randvollen Kaffeebecher ab, der auf das Foto überzuschwappen drohte.
Rasch schob ich es zur Seite. „Hast du das abgeschossen? Wie bist du denn an dem verrammelten Torhaus vorbeigekommen?“
„Och, die Familie von Stetten hat mir eine Fotoerlaubnis erteilt.“
„Was hat von Stetten damit zu tun?“
„Das Herbecker Herrenhaus ist der Familiensitz der Freiherren von Stetten. Wollte ich dir neulich schon erzählen, aber du hast mich ja nicht ausreden lassen. Im letzten Jahrhundert haben sie es, wenn mich nicht alles täuscht, von den Nachfahren des berühmten Nicolaus von Bernfried erworben. Das ist der mit dem Grabmal. Die von Stettens gehören nicht zum Uradel, sind wohl erst nachträglich in den Stand erhoben worden. Frag mich aber nicht, wegen welcher Verdienste!“
„Seine Familie wohnt in dem Kasten? Und er?“
„Die Eltern und seine Schwester mit Mann und Kindern. Ludwig von Stetten besitzt eine Eigentumswohnung in einer Jugendstilvilla in der Kastanienallee.“ Noble Straße! Von Grund auf renovierte Villen, alter Baumbestand, Nähe zum Zentrum. Die richtige Gegend für wohlhabende Stadtmenschen. „Er hält sich wohl öfters am Wochenende in Herbeck auf. Man kennt das ja, das Landgut der Adeligen.“ Herbie grinste.
Ich erwiderte seine Mimik. Aber das Lächeln erstarrte wie gefroren auf meinen Lippen. Mir war eher zum Weinen zumute. Warum hatte mein Feind ausgerechnet das Gelände derer von Stetten für seinen Anschlag gewählt? Nein, ein Zusammenhang war absurd! Der Herbecker Forst war das weitläufigste und damit auch einsamste Waldgelände in der Gegend. Ideal für seine Zwecke!
Ich gönnte mir eine Auszeit beim Bäcker in der Fußgängerzone. Am Stehtisch trank ich einen Espresso, in den ich eine Zimtschnecke tunkte, und breitete die Unterlagen über den Gottesanger aus, als könnte sich auf diese Weise eine Lösung meiner Probleme ergeben. Meine Gedanken rotierten im Kreis. Wie ich es auch drehte und wendete, ich konnte nur verlieren!
Verzweifelt bezahlte ich und ging nach draußen. Nachdenklich stierte ich in die Auslagen des Schuhgeschäfts. Als ich aufblickte, registrierte ich einen Mann, der mich beobachtete.
Rasch setzte ich mich in Bewegung. Vorsichtig spähte ich über die Schulter zurück.
Der Mann folgte mir. Wer war das? Ich hatte ihn nie gesehen! Aber das spielte keine Rolle. Auftragskiller gab es nicht nur im Fernsehkrimi! Hatte mein unbekannter Feind einen Profi auf mich angesetzt, der vor einer Attacke am helllichten Tag nicht zurückschreckte?
Ich beschleunigte mein Tempo. Ohne mich umzudrehen, ahnte ich, dass der Mann näher kam. Was tun? Jemanden um Hilfe bitten? Aber ich hatte bereits, beflügelt durch die schnellere Gangart, die Fußgängerzone verlassen und war in eine der Nebengassen eingebogen. Wie dumm von mir! Umdrehen ging nicht, weil ich ihm dann direkt in die Arme laufen würde. Ich saß in der Falle!
Also rannte ich los. ‚Klack-klack‘ hallten meine Schritte laut auf dem Kopfsteinpflaster. Hinter mir das Echo seiner Schritte. Wie im Herbecker Forst! Das war kein Zufall! Und wenn ich an einer Haustür klingelte? Kleine, alte Stadthäuser mit blumengeschmückten Butzenfenstern rahmten die Gasse links und rechts wie niedliche Puppenhäuser ein.
Hinter meinem Rücken schrie jemand. „He! Hallo!“ Der Mann brüllte. Er versuchte, mich zum Stehenbleiben aufzufordern.
So ein billiger Trick! Ich verschärfte mein Tempo. Vor mir lag nun eine der zierlichen Brücken, die über den Fluss auf die andere Seite der Stadt führten. Das Wasser rauschte schäumend durch das Wehr. Verdammt, die gebogene Holzbrücke besaß die unangenehme Eigenschaft, unabhängig von den Witterungsverhältnissen stets rutschig zu sein! Prompt zollte ich meinem Tempo Tribut und fiel hin. Ich hangelte zwischen Boden und Geländer gefährlich in Richtung Wasser. Der erste Schreck lähmte meine Reaktionsgeschwindigkeit, und schon war er da! Ich wusste es, ohne
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