Mordsschock (German Edition)
Stahlregale mit Drucker und Faxgerät, graue Bürostühle mit verblichenen Sitzflächen, zwei Palmen mit mattgrünen Wedeln auf der Fensterbank und ein anthrazitfarbener Teppichboden mit Kreismuster – das war die gesamte Ausstattung.
„Die Umgebung ist zwar etwas na ja, aber sonst ist alles da.“ Beschwingt tänzelte Ken Winter durch den Raum. Es wirkte nicht einmal albern. Er hievte einen Picknickkorb voller Köstlichkeiten auf einen Bürotisch. Eine Flasche Wein, zwei Gläser, gebratenes Huhn, Sandwiches, Kuchen und Obst.
„Donnerwetter!“ Ich staunte und schnupperte hungrig in den Korb.
„Halt, ich habe was vergessen!“, rief er und rannte zum Auto. Dann schleppte er eine karierte Wolldecke herein und breitete sie auf dem Fußboden aus. Geschickt drapierte er die Köstlichkeiten auf der Decke.
„Das ist zwar ein ungewöhnlicher Ort für ein Picknick, aber draußen ist es heute zu kühl, und wir sind ungestörter.“ Er grinste lausbübisch wie ein kleiner Junge, der sich diebisch über einen gelungenen Streich freute.
„Hm. Das duftet ja wie bei Emanuel Porter!“
„Nur dass der noch Gurkenröschen, geschnitzte Kürbisspalten und Radieschentiere obenauf legen würde.“
„Sie kennen Emanuel Porter?“
„Diese fantastische Aroma mündet so magnifique“, ahmte er den Koch nach.
Im Schneidersitz hockte ich mich auf die Decke und ließ mich von ihm mit den Leckereien verwöhnen. Als eines der Telefone auf dem Schreibtisch klingelte, legte er leicht den Finger auf die Lippen.
„Wo hast du bloß all dieses gute Essen her?“ Das ‚Du‘ kam mir ganz ungezwungen und wie von selbst über die Lippen.
„Nicht vom Friseur, ich habe es lieber im Delikatessengeschäft geholt.“
„Aber du wusstest gar nicht, ob ich mitkommen würde.“
„Ich wusste, dass du kommst. Du bist nämlich neugierig!“
Ich lachte so, dass ich mich am Wein verschluckte und Ken mir auf den Rücken klopfte. Er ließ eine Hand auf meinem Rücken, legte den anderen Arm um meine Taille und drückte mich fester an sich. Er beugte seinen Kopf runter, damit ich das Blau seiner Augen trank.
Es machte mich besoffen, hatte dreimal so viel Promille wie der Wein. Ich berauschte mich an diesem Blau, bis ich nur winzige Sternchen um mich herum kreisen sah. Wie die verheißungsvoll funkelten und glitzerten! Schneller und schneller. Dann beendeten sie ihren rasenden Flug.
Warm und weich presste er seine Lippen auf die meinen, saugte sich fest, als würde dadurch alles Schlechte aus der Welt verbannt werden.
Der Fluch der Technik zerstörte den Zauber. Das schrille Klingeln von Kens Handy ließ uns auseinanderfahren, als hätten Erwachsene zwei unbedarfte Teenager bei einer verbotenen Knutscherei erwischt.
Eine Weile saßen wir atemlos da und schauten uns an. Worte hätten gestört. Unsere Blicke sprachen laut genug.
Das Handy blieb hartnäckig. Wütend vibrierte es in seiner Jackentasche.
Ken guckte auf seine Rolex, erhob sich seufzend und schüttelte die steif gewordenen Gelenke. „Die Sitzung fängt gleich an. Leider habe ich zwei Redebeiträge. Die kann ich nicht versäumen.“
Wir räumten die Essensreste zusammen. Kichernd wie alberne Kinder, weil wir uns vorstellten, was wohl die Fraktionssekretärinnen gesagt hätten, wenn sie am nächsten Morgen das Picknick auf dem Fußboden entdeckten. Das Leben war so wunderschön!
Zum Abschied steckte Ken mir rasch einen Zettel mit neuen Ideen zu seinem Kreisverkehrskonzept zu: „Als Alibi für ein anständiges Arbeitsessen." Von der Poesie zurück in die Realität!
Natürlich stänkerte Gundula am nächsten Morgen: „Warum ist denn der Winter gestern erst so spät bei der Sitzung erschienen? Ihr seid doch zeitig losgegangen. War dieses Haus dermaßen interessant?“
„Ja, Jugendstil, gut erhaltene Fassade. Wir haben es nicht gleich gefunden und uns ein bisschen verfahren.“
„Ach!“
Ich steckte ihr hinter dem Rücken die Zunge raus und träumte selig vor mich hin. Ken, mein Märchenprinz, mein ...
„Wir haben nichts, aber auch gar nichts Knackiges für morgen, verdammt noch mal!“, ertönte Wagners bemühte Bassstimme.
Seufzend guckte ich die Post durch, um einen Knüller zu finden. Aber außer dem monatlichen Treffen der Dackelzüchter, zwei der üblichen Vernissagen, einem Schulfest und einer Einladung zur Einweihung des neuen Kindergartens war nichts Verwertbares dabei.
In der Konferenz ließ unser Chef seine schlechte Laune hemmungslos an jedem aus. Herbies
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