Mordsschock (German Edition)
aufzusehen.
Er packte mich an den Schultern.
Jetzt würde ich gleich ins Wasser stürzen. Ich strampelte.
„Sind Sie okay?“, fragte er zu meiner Überraschung und half mir, mich aufzurichten. Bevor ich davonlaufen konnte, wedelte er mit einem Stoß Papiere. „Hier, die haben Sie beim Bäcker liegen gelassen! Sahen wie wichtige Dokumente aus. Warum sind Sie weggerannt?“
Meine Kopien der Gottesanger-Absagen von Krügers und Frau Hanselmann! Oh, ich Idiotin!
Gegen Abend bekam ich überraschenden Besuch im Büro. Verschmitzt lächelnd, eine Wildlederjacke lässig über die Schulter geschwungen und die Hände in den Hosentaschen einer weiten Cordhose vergraben, baute sich Ken Winter vor meinem Schreibtisch auf. Er sah aus wie eben einem Prospekt für die neue Herbstmode entstiegen. Der Sommer hatte sich vorläufig verabschiedet und den üblichen Regenschauern und windigen Böen Platz gemacht. Am Kragen von Winters Wildlederjacke lugte ein Designerlabel hervor, und auch die Hose und seine blank geputzten braunen Halbschuhe trugen die Handschrift eines begnadeten italienischen Maestros.
Ich dachte an sein großzügiges Haus und Grundstück. Dieser Mann roch nach Geld, aber überwältigender war sein Charme.
Die faszinierenden blauen Augen strahlten, seine geraden weißen Zähne strahlten, und seine männlich herb-roten Lippen strahlten. „Ich habe vor der Ausschusssitzung eine Stunde Zeit und möchte Ihnen rasch das denkmalgeschützte Haus zeigen, über das wir gesprochen haben. Sie kommen zum Ausschuss?“
Bedauernd schüttelte ich den Kopf. Das war Gundulas Part, die sich jetzt prompt an Ken Winter heranschlängelte und ihm die Hand reichte.
Dem liegen wirklich alle Frauen zu Füßen! , dachte ich.
Ken Winter sprang auf Gundulas verführerisches, wie sie meinte, Geplapper nicht an. Er entschuldigte sich damit, mir vor der Sitzung dringend das Haus zeigen zu müssen.
Ich packte meine Sachen und folgte ihm.
Auf der Straße fragte ich: „Welches Haus meinen Sie? Wir haben über keines gesprochen.“
Er tippte leicht gegen meine Nasenspitze, guckte sich vorsichtig um, ob uns jemand beobachtete, und sagte mit seiner wohlklingenden Stimme: „Dummerchen!“
Ich zuckte zusammen. Das Wort passte nicht zu ihm. Es erinnerte mich an den kurzen Augenblick im Marktcafé , als er sachte meine Hand berührt hatte. Diesem Mann gelang es mühelos, mich bei jeder unserer Begegnungen in Verwirrung zu stürzen. Sonst nicht meine Art. Wie brüstete ich mich Lila gegenüber immer mit meinem kühlen Kopf in Männerangelegenheiten! Die Klarheit war weggeblasen. Der letzte übrig gebliebene Rest meines Verstandes befahl mir: Sieh jetzt bloß nicht in seine Augen, sonst bist du hypnotisiert!
Wir fuhren in seinem Auto. Ein schwarzer Mercedes S-Klasse. Blank gewienert, als würde jemand regelmäßig sofort jedes Stäubchen mit dem Taschentuch fortwedeln, bevor es sich setzte. Innen Kirschbaumarmaturen und helle Ledersitze passend zum Bezug des Sportlenkrades. Natürlich nicht die leiseste Spur von Plastikkaffeebechern, Imbisstüten oder Zigarettenkippen wie in meinem Auto.
Hochnäsig bohrte ich mein Gesicht gegen die getönte Scheibe und sah auf alle Golfs, Fiestas, Cars, Ladas, Daihatsus ... herab, die uns begegneten. Leider nahm niemand von meiner Arroganz Notiz.
Ken Winters kräftige Hände lagen ruhig auf dem Lenkrad. Sein Aftershaveduft vermischte sich mit dem Geruch der Wildlederjacke zu einem verwirrend männlichen Aroma. Er hielt seinen Kopf kerzengerade, als er die Hauptstraße entlangsteuerte.
Ich hatte den Eindruck, dass dieses Bild symbolisch für den Mann war. Genauso unbeirrt und zielsicher hielt er auch im Leben das Steuer in der Hand und bahnte sich seinen Weg, ohne nach links oder rechts zu schauen. Nur in seiner Ehe lief wohl nicht alles so perfekt ...
Fünf Minuten später bog Ken Winter in eine Nebenstraße ein und stoppte vor einem hässlichen grauen Gebäude in Kastenform. „Voilà!“ Er breitete die Hände aus. Das Bauwerk war zwar nicht mehr neuesten Datums, sah aber keinesfalls nach Denkmalschutz aus.
Er lachte über meine fragenden Blicke und holte einen Korb aus dem Kofferraum. „Das ist unser Fraktionsbüro. Komm! Um diese Zeit ist keiner mehr hier.“ Mit diesen Worten schloss er die Tür auf und schob mich in zwei ineinanderübergehende, nüchtern eingerichtete Büroräume, die nach grüner Seife rochen. Zweckmäßige Stahlschreibtische mit Papierstapeln, Computern und Telefonen,
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