Mordsschock (German Edition)
riesige Querformatfotos zu setzen und ähnlichen Schickimicki.
„Was wollen die?“, horchte ich die Riechling neugierig aus, als sie wieder aus dem Reich der Zeitungsgötter bei uns Zeilenknechten auftauchte.
Sie mampfte ein Leberwurstschnittchen und zog mich in ihr kleines Kabuff, in dem sie die Korrespondenz erledigte. Hier drin war es so eng, dass die Riechling stecken blieb, wenn sie sich zu schwungvoll um die eigene Achse drehte. Die einzig gesunde Pflanze der Redaktion, eine Grünlilie, hinderte sie jedoch daran, weil sie den freien Raum mit ihren Ablegern blockierte.
Genießerisch leckte die Riechling die Leberwurst von den wulstigen Lippen, ließ ihre Stimme eine Oktave tiefer in einen bedrohlichen Tonfall rutschen: „Ich bin seit zwanzig Jahren beim Rosenhagener Tageblatt . Es ist ernst wie nie.“
„Was ist los?“
„Herr Wagner bekommt enormen Druck von oben. Die Abonnenten sterben uns weg, und die jungen Leute abonnieren nicht. Das heißt, die Auflage sinkt weiter. Dann beschweren sich die Anzeigenkunden, dass sie nicht genügend Resonanz erhalten und stornieren ihre Werbung. Das bringt natürlich erhebliche Verluste. Und der Wagner kann das nicht ändern. Er ist ja nicht mal in der Lage, acht Stunden zu arbeiten. Wenn man mich fragt, hat der es sich all die Jahre zu gemütlich eingerichtet. Und nun verlangen sie bessere Geschichten von ihm, um das Schlimmste aufzufangen.“ Die Riechling flüsterte: „Er versucht, sich mit allem zu protegieren, was er kriegen kann. Er hätte eine heiße Geschichte über die Machenschaften unserer Politiker laufen. Seine Recherchen hätten ergeben, dass es bei der Grundstücksverteilung des Gottesangers nicht mit rechten Dingen zugeht.“
„Was?“ Ich fuhr in die Höhe. „Wie kommt er da drauf?“
„Pscht.“ Die Riechling legte den Zeigefinger mahnend auf ihren Leberwurstmund. „Weiß nicht! Ich habe nie zuvor etwas davon gehört.“
Wütend verkrümelte ich mich an meinen Schreibtisch und kloppte auf die unschuldige Tastatur ein. Wagner meinte natürlich meine Geschichte, an die er sich wohl in seiner Not erinnert hatte. Aber seit meinem Besuch bei Krügers befand sich Wagner in der Angelegenheit überhaupt nicht mehr auf dem Laufenden. Und ich kam nicht fundamental weiter, nachdem mein nächtlicher Informant sich als Totschläger entpuppt hatte.
Stundenlang beratschlagten die Bosse hinter verschlossenen Türen. Meine Kollegen schlichen auf Zehenspitzen an Wagners Büro vorbei, als könnte dieses Verhalten die oberen Herrschaften gnädiger stimmen. Heute war für alle ein schwarzer Tag.
Voller saß mit hängendem Kopf hinter seinem Schreibtisch. Um den Hals trug er einen dicken Kaschmirschal gewickelt. Dieses Ritual wiederholte sich in zweiwöchigen Abständen und signalisierte uns: ‚Achtung, Erkältung im Anmarsch! Abstand halten!‘ Meistens verschwand der Schal im Laufe des Tages, und man konnte wieder normal mit ihm reden.
Diesmal trabte Voller auch gegen späten Mittag noch samt Schal schweigend neben mir her durch die Fußgängerzone, wo wir uns einen Croque holten. Die Leute drehten sich nach uns um. Es herrschten 27 Grad Außentemperatur, und jeder bemühte sich, so viel Sauerstoff wie möglich an seinen Hals zu lassen.
„Ich glaube, du kriegst rote Flecken unter deinem Schal“, versuchte ich, Voller aus seiner Lethargie zu wecken.
„Wirklich?“ Entsetzt zerrte er an seinem Schal herum, wo sich die Haut tatsächlich durch die Hitze gerötet hatte. Seufzend massierte Voller mit den Fingerspitzen seinen Nacken. Er betrachtete sich in einem Schaufenster und stieß einen leisen Schrei aus: „Mensch, das sieht ja schlimm aus! Ich muss sofort zum Arzt.“
Ich lachte. „Quatsch, jeder gesunde Hals wird rot, wenn man ihn bei der Hitze so verpackt.“
Wir gingen weiter. Niemand sagte etwas.
„Also, wo brennt’s denn?“, knuffte ich meinen stummen Begleiter.
„Ich bekomme den Job nicht!“
„Welchen Job?“
„Bei NORA“, fauchte er ungeduldig. „Von Stetten rief heute an und erzählte mir, er habe seinen Vorschlag bei den Vorstandheinis nicht durchgesetzt. Die bemängeln, dass ich kein abgeschlossenes Studium besitze.“
Ich tätschelte seine Schulter. „Der Job wäre sicher öde gewesen. Jetzt sind die Semesterferien bald vorbei, und du steigst wieder in dein Studium ein. Nachher kommst du groß raus. Du hast Talent!“
Unwirsch schüttelte Voller mich ab. „Ich will mein Studium abbrechen! Dieser ganze Mist ist mir viel
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