Mordsschock (German Edition)
zu theoretisch. Das hat mit dem wahren Berufsleben überhaupt nichts zu tun! Du müsstest die verstaubten Typen mit ihren Rauschebärten und Rollkragenpullis mal sehen, wie sie in ihrem Elfenbeinturm über zig uralten Büchern schmoren.“
Ich bot Voller eine Zigarette an.
Obwohl sonst erklärter Nichtraucher, griff er in seinem Kummer zu. „Und von Stetten ...“, lispelte er, während er paffte, „der soll gefälligst mit seinem schleimigen Getue aufhören! Zum Essen will er mich einladen – zum Trost. Als ob ich Lust hätte, mich privat mit dem zu treffen. Nur weil er ein Politbonze ist.“ Verbittert zertrat Voller die Kippe, bis sie total Matsch war.
„Sag mal, findest du das Getue von dem nicht seltsam? Das riecht nach starkem Interesse an deiner Person, oder nicht?“
Irritiert gaffte Voller mich an. „Ich denke, weil er meine Fähigkeiten schätzt.“
„Ja, natürlich!“, erwiderte ich hastig. Trotz seiner überheblichen Art mochte ich Voller. Er tat mir in seiner Zerknirschung leid. Traurig baumelte der kostbare Schal lose über seiner Schulter, und das Ende schlug einer Passantin ins Gesicht.
„Können Sie nicht aufpassen?“
Voller hörte ihr Gezeter nicht.
In der nächsten Stunde hing von Stetten bei Voller am Telefon, um sich mit ihm zum Essen zu verabreden.
Voller schob irgendeine Ausrede vor. Frustriert knurrte er in meine Richtung: „Nervig!“
Als ich nachmittags runter in die Technik zum Seitenumbruch ging, entdeckte ich lauter finstere Mienen.
„Was ist mit euch los?“, erkundigte ich mich bei Willy, der wie immer mit seinem Messer hantierte, Texte auseinanderschnippelte und wieder zusammenpuzzelte.
Er deutete mit einer Kopfbewegung nach oben. „Der Besuch bedeutet nichts Gutes! Die wollen uns weghaben. Soll alles modernisiert werden. Da sind wir überflüssig!“ Müde wischte er sich mit einem kleinen Handtuch die Schweißperlen von der roten Stirn.
Nun war es soweit, das hatte ich kommen sehen. Für Willy und seine Kollegen rauschte der Fortschritt mit schlimmen Schritten und unangenehmen Folgen heran.
Das Ergebnis des Besuches aus Flamstadt war zunächst, dass Wagner sich eine eiserne Faust zulegte, mit der er jetzt bei jeder Gelegenheit auf den Tisch donnerte.
„Härter! Die Geschichte muss härter werden!“, forderte er dauernd. Oder: „Das ist kein Aufmacher, diese Weichspülerstory kann ich nicht mal den Großmüttern im Apothekerblatt vorsetzen!“
„Meine Güte, der wird zum Sklaventreiber. Ich fange bald mal an, alle Überstunden zu zählen“, murrte Herbie in seiner Funktion als Betriebsratsvorsitzender.
Wagner verschwand zwar nach wie vor pünktlich um 15 Uhr nach Hause, dehnte jetzt aber seine Mittagspausen nicht mehr ganz so lang aus, um uns unter Feuer zu halten.
„Er kann nicht anders. Das ist seine letzte Chance“, tuschelte die Riechling und stellte uns zur Aufmunterung selbstgebackene Törtchen hin.
Voller, dessen Praktikum sich dem Ende zuneigte, gab sich in diesen Tagen besonders viel Mühe. Er zog die unglaublichsten Themen an Land, turnte überall herum, hörte Gras wachsen und schrieb mehrere Aufmacher.
Trotzdem gelangte er nicht an sein Ziel. In einem Gespräch unter vier Augen bedauerte Wagner, ihm keine Stellung anbieten zu können. Im Gegenteil hieß es, wenn wir weiter so bergab ruderten, müsste in der Redaktion eingespart werden. Mir schwante nichts Gutes.
Voller war zäh. „Ich brauche etwas Sensationelles, sodass die in Flamstadt aufhorchen“, meinte er heimlich zu mir.
Da kam eine E-Mail an. „Hier, das ist deine Story!“, enttäuscht rief Voller mich.
Hochinteressant! Der Bürgermeister gab durch seinen Referenten die Meldung heraus, die vorzeitigen Grundstücksabsagen wären der Fehler einer Mitarbeiterin. Man hätte im Rathaus bereits die Konsequenzen gezogen. Wir sollten diese Nachricht mit einer Entschuldigung an die Bürger veröffentlichen.
Ich las Herbie und Jelzick die Mail vor. „Das ist doch Irrsinn! ‚Konsequenzen gezogen‘ heißt, die haben irgendeine unschuldige Verwaltungsangestellte geopfert.“
Hinter mir tauchte Wagner auf, um die unsichtbare Peitsche zu schwingen. „Was stehen Sie herum? Meinen Sie, dies ist ein Kaffeeklatsch? Wir brauchen harte Storys. Nun mal ran!“ Er warf einen Blick über meine Schulter auf den Bildschirm. „Was haben Sie da?“
Er las und kräuselte die Stirn. „Ich weiß zwar nicht, was das bedeuten soll, aber wie lange soll ich auf diese Geschichte mit der
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