Mordstheater
einer halben Gurke, an
der sie den ganzen Abend herumstocherte, während sie einen Liter stilles
Mineralwasser nach dem anderen trank.
Stephanie hatte während unseres ersten Jahres in
Cambridge im Studentenwohnheim neben mir gewohnt. Als sie kam, war sie ein
kräftiges, sportlich aussehendes Mädchen mit frischer Gesichtsfarbe und einer
Menge dieser Bonhomie, die den Mädchenprivatschulen eigen ist. Bis zum Ende des
ersten Jahres war sie ein neurotisches, verwirrtes Kind geworden, mit einer
Eßstörung, die an Magersucht grenzte. Cambridge tat das manchen Leuten an. Ich
neigte dazu, ihr aus dem Weg zu gehen, nachdem ich aus dem College ausgezogen
war, weil ich die ganze Erfahrung des Studiums angsteinflößend genug fand, auch
ohne ständige Diskussionen über Kalorien und Stoffwechselfunktionen.
Ich hatte sie mehrere Jahre nicht gesehen, aber
von gemeinsamen Bekannten erfahren, daß sie nach Camden gezogen war, und so war
es keine große Überraschung, ihr unter dem hellen, gnadenlosen Neonlicht von
Sainsbury’s zu begegnen. Sie hatte es geschafft, die Fotomodellfigur
beizubehalten, nach der sie sich sehnte, und das wurde von engen, schwarzen
Leggings und der hüftlangen Designerversion einer Motorradjacke akzentuiert,
die absolut keine Oberschenkel oder ein Hinterteil enthüllten.
Worauf ich nicht gefaßt war, als ich meine
zwanglose Einladung zum Abendessen aussprach, war, daß Stephanie, die sich
jetzt in ihrem Körper wohl fühlte, die Geduld mit ihrer Seele verloren und
offenbar in den letzten Jahren so viele Lebensveränderungskurse ausprobiert
hatte, wie sie in Cambridge Diäten machte. Ich schätze, ich hatte einen netten,
schwatzhaften Mädchenabend erwartet. Was ich bekam, war ein
Psychogeplapper-Verhör.
»Du siehst sehr gut aus«, fing ich an, als ich
einen Kochtopf mit Wasser für die Nudeln aufsetzte.
»Du nicht«, antwortete sie. »Oh, versteh’ mich
nicht fälsch, du siehst prima aus..., aber irgendwas ist mit deiner Aura.«
»Ich habe einen leichten Kater, wenn du das
meinst.«
»Nein, nein, es ist grundsätzlicher als das. Ich
meine, du scheinst nicht glücklich mit dir selbst zu sein. Tut mir leid, daß
ich so direkt bin, aber ich habe gelernt, daß es sehr nützlich ist, direkt zu
sein.«
»Oder unverschämt?« sagte ich spaßhaft.
»Ah, siehe da, ich hatte recht. Sonst würdest du
nicht so abwehrend reagieren«, fuhr sie ganz im Ernst fort.
»Oh, um Gottes willen, Steph, du hörst dich
langsam an wie ein Psychiater in einer gräßlichen Seifenoper.«
»Warum sagst du gräßlich, wenn du über
Psychiater redest? Hast du schon mal darüber nachgedacht?« sagte sie todernst.
»Ich habe eigentlich mehr über die Qualität der
Seifenoper geredet als über den Psychiater«, antwortete ich. »Komm’, leb auf,
wie man so sagt, und hol dir was zu trinken.«
»Ich trinke nicht mehr.«
Oh Gott, dachte ich. Ich war gerade beim
angenehmen Teil des Katers angekommen, wenn der hartnäckige Kopfschmerz
entschwindet und man merkt, daß einem ein Glas mit etwas Kräftigem wie Rioja
wirklich guttäte. Ich beschloß, sie zu ignorieren und schenkte mir einen Becher
ein. Wir nahmen unsere Teller mit Nudeln und Salat mit auf die Terrasse, und
einen Moment lang fiel sie in das wohlerzogene Mädchen aus der Mittelschicht
zurück, das sie war, und machte lobende Bemerkungen zu den Weinranken und den
Blumen und wie schön das alles sei. Ich nahm einen großen Schluck Rotwein.
»Es ist großartig, sich zu entspannen nach der
Woche, die ich hinter mir habe«, sagte ich, zündete zwei Kerzen auf dem
Metalltisch an und nippte an meinem Rioja.
»Glaubst du, du brauchst Alkohol, um dich zu
entspannen?« fragte sie.
»Ich weiß nicht, ob ich ihn brauche«, sagte ich,
»aber ich mag ihn.«
»Ah«, sagte sie und trank in großen Schlucken
ihr Evian.
Ich rechnete im Kopf zusammen, wieviel ich in
der letzten Woche getrunken hatte. Es war um einiges mehr als die Gesamtmenge,
die in einem Artikel noch als unbedenklich empfohlen wurde, den ich vor einiger
Zeit auf der Frauenseite im Guardian gelesen hatte, aber, sagte ich mir,
es war eben eine harte Woche gewesen.
»Ertappst du dich dabei, daß du Ausflüchte für
die Menge erfindest, die du trinkst?« fuhr sie fort.
»Na ja...«
Es war, als würde ich einen von diesen
Fragetests im Cosmopolitan beantworten. Sind Sie Alkoholiker? Sind Sie
gut im Bett? Dieses Zeug halt.
Ich versuchte, darüber zu lachen, aber Stephanie
ließ nicht locker.
»Trinkst du, um zu
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