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Mordstheater

Mordstheater

Titel: Mordstheater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imogen Parker
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vergessen?« fragte sie.
    »Ich weiß es nicht mehr«, sagte ich.
     
    Mein Problem ist (wenn man es denn ein Problem
nennen kann — ich sehe es eher als eine der netteren Seiten meines Charakters),
daß ich mich einfach nicht dazu bringen kann, ekelhaft zu Leuten wie Stephanie
zu sein. Sie durfte auf meiner schönen Dachterrasse sitzen und stundenlang
jeden einzelnen Aspekt meines Charakters kritisieren. Ich denke gern, ich hätte
früher zu ihr gesagt, sie soll den Mund halten, wenn ich nicht beim zweiten
Glas Rioja eine neue Rolle für meine Nummer vor mir hätte aufglimmen sehen.
    Meine »Nummer« wurde vermutlich bei einer
Weihnachtsfeier in der Bank geboren. Wir saßen alle an Tischen mit unseren
»Teams« (merkwürdige Management-Sprache für kleine Gruppen von hochgradig auf
Konkurrenz eingestellten Leuten, die dazu ausersehen waren, die Profite der
Bank zu steigern) und trugen Papierhüte, die wir aus den extrem teuren
Designer-Knallbonbons gezogen hatten. Die Atmosphäre war ungefähr so festlich
wie bei einer Testamentsverlesung, aber geheimnistuerischer, weil jeder ganz
für sich die ungefähre Höhe seines oder ihres Bonus herauszubekommen versuchte.
Wir alle aßen unsere perfekten Truthahnschnitzel, die in eine
Portwein-Preiselbeersoße gebettet waren, und unsere Beilagen aus
Miniaturgemüsen; wir spielten mit unseren individuellen Christmas-Puddings und
tranken die edlen Weine aus den korrekten Gläsern, die vor uns aufgereiht
waren. Ich versuchte, mit dem Teammitglied neben mir Konversation zu betreiben,
einem Amerikaner, der rote Hosenträger trug und Randolph Brooks der Vierte
hieß. Er hatte mich das ganze Jahr über mit seinem unverhohlenen Ehrgeiz
verärgert, aber anstatt daß ich ihn herausforderte, merkte ich, wie ich ihn,
zunächst unbewußt, nachäffte. Mein Akzent ging immer mehr ins Amerikanische,
und mein Sprechrhythmus wurde langsamer. Es war, als ob ich mich in meiner
Langeweile in ihn verwandelte. (Versuchen Sie mal, »Meine Freunde nennen mich
Randy« ohne eine Spur von Ironie in der Stimme zu sagen.) Als Martin und ich uns
früh in den nächsten Pub davonstahlen, merkte ich, daß ich nicht damit aufhören
konnte, und Martin mußte so lachen, daß andere Leute mit zuhörten. Am Ende
stand ich auf einem Tisch in einer Bar in der City und wurde auf immer
absurdere Weise der langweilige Randy. Am nächsten Tag hatte ich eine vage
Erinnerung, daß der Besitzer mich gebeten hatte, zum Silvester-Kabarett in den
anderen Pub zu gehen, der ihm gehörte, und da ich kein besseres Angebot hatte,
ging ich und brachte die Nummer noch einmal.
    Und so war der erste von meinen Charakteren
geboren. Da ich schon immer ganz gut Leute nachmachen konnte und liebend gern
rede, war es nicht schwer, Monologe zu entwickeln. Ich gab Randy, den
amerikanischen Banker auf, als ich Harry Enfield ersonnen hatte, den Mann mit
haufenweise Geld, weil Randy nicht annähernd so witzig war. Inzwischen hatte
ich herausgefunden, daß ich mich in einer weiblichen Rolle sowieso wohler
fühlte, und kreierte Serena, die hohlköpfige Nachrichtensprecherin, die
hauptsächlich in Schlagzeilen sprach, Wendy Wilberforce, die erzkonservative
Gemeinderätin (wissenschaftlich erforscht während eines vormittäglichen
Kaffeetrinkens, zu dem Reg und meine Mutter eingeladen hatten), und
verschiedene andere. Die ganze Woche hatte ich versucht, ein Hätschelkind des
Theaters auszuhecken, aber Agatha war zu individuell, als daß man sie auf einen
bestimmten Typ festlegen konnte, und da ihre Klientenliste hauptsächlich aus
Männern bestand, war ich nicht auf viele andere Frauen getroffen.
    Stephanie, aus der Nancy Newage werden würde,
erzählte mir von einem Wochenendkursus mit dem Namen »Der Puls des Lebens«, den
sie besucht hatte. Er hatte sie fast zweitausend Pfund gekostet, und das war,
sagte sie, das beste Geld, das sie je investiert hatte.
    »>Der Puls des Lebens<«, fragte ich, »ist
das physisch oder spirituell?«
    »Was meinst du damit?« gab sie abwehrend zurück.
    »Oh, du verstehst schon, ich meine, reden wir
vom Blut in den Adern oder von irgendwelchen astralen Schwingungen?«
    Einen Moment lang sah Stephanie sehr verletzt
aus, als ob ich sie nicht ernst genug nehmen würde; also bat ich sie, die Sache
zu beschreiben, und sie zierte sich ziemlich, als würde ich versuchen, meine
Erleuchtung gratis zu bekommen. Ich versicherte ihr, daß ich etwas Derartiges
ganz sicher nicht machen wollte.
    »Wie kannst du das wissen, ohne

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