Mordstheater
daran
teilzunehmen?« sagte sie.
»Nun —«
»Genau«, unterbrach sie. »Ich habe dir das noch
nie vorher gesagt, Sophie, aber du fällst deine Urteile sehr vorschnell. Ich
frage mich, ob das etwas mit deiner einsamen Kindheit zu tun hat. Du mußtest
der Welt Ordnung auferlegen, weil du dich so entfremdet fühltest. Es muß
schwierig gewesen sein, als du verlassen wurdest, aber ich glaube, du hast dir
deinen Schmerz nie richtig eingestanden.«
»Jetzt mach mal langsam. Ich bin nicht verlassen
worden. Meine Eltern haben sich getrennt. Das ist nicht sehr ungewöhnlich
heutzutage.«
»Aber daß du deinen Vater nicht gekannt hast.«
»Ich habe meinen Vater gekannt. Ganz offen
gesagt, meiner Erinnerung nach waren wir viel glücklicher, als er ging.« Das
war nicht ganz wahr, aber ich hatte plötzlich sehr das Gefühl, Reg in Schutz
nehmen zu müssen. »Jedenfalls bin ich sehr glücklich aufgewachsen.«
»Das ist nicht so ganz, was ich in Erinnerung
habe«, sagte sie besserwisserisch.
»Gut, es war ja auch nicht deine Kindheit«,
sagte ich so geduldig, wie ich konnte.
»Aber du hast mir erzählt, du seiest am Boden
zerstört gewesen, als sie dich in ein Internat schickten.«
Ich erinnerte mich vage an eine solche
Unterhaltung vor Jahren, als ich versucht hatte, für die Vorzüge des
staatlichen Schulsystems zu argumentieren. Ich war unglücklich auf meiner
Privatschule gewesen, aber nach einem Halbjahr hatte meine Mutter das
eingesehen und mich auf die örtliche Gesamtschule zurückgebracht. Sie und Reg
hatten nur versucht zu tun, was sie für das Beste hielten. Mir wurde klar, daß
es keinen Wert hatte, sich mit Stephanie zu streiten. Was ich auch immer zu
meiner Verteidigung sagte, würde irgendwie verdreht werden, um ihre These zu
beweisen. Was auch immer ihre These sein mochte. Es schien eine Kombination aus
Freud und massivem Vernunftsdenken zu sein. Ich lenkte die Unterhaltung wieder
auf sie zurück, ein Thema, über das sie offenbar gerne ad infinitum redete. Ich erfuhr, daß man in »Der Puls des Lebens« mehrere Stunden lang
erniedrigt wurde, nicht auf die Toilette gehen durfte, angeschrien wurde,
gezwungen wurde, seine schlimmsten Fantasien auszudrücken, und generell auf
eine Stufe von Abscheu gegen sich selbst reduziert wurde, die man nicht für möglich
gehalten hätte, dann plötzlich umarmt und beruhigt wurde, bis man erkannte, was
für ein wundervoller Mensch man war.
»Aber zweifellos ist doch niemand ein
wundervoller Mensch. Wir haben alle unsere Fehler. Es hat wenig Sinn, ein
glückseliges Lächeln aufzusetzen und darauf zu beharren, daß jeder im Innersten
wundervoll ist. Die Menschen sind nicht so«, sagte ich.
»Aber genau deswegen mußt du >Der Puls des
Lebens< machen, Sophie, siehst du das nicht ein? Du haßt dich selbst, und
das macht dich zynisch.«
»Ich hasse mich nicht. Wie viele Male muß ich
dir das noch sagen?« Meine Stimme hob sich.
»So ist es richtig« — ein missionarisches
Glänzen lag in ihren Augen — , »sei wütend, laß es alles heraus.«
»Stephanie«, sagte ich sehr ruhig.
»Ja?«
»Du weißt doch, diese Kurse über
Durchsetzungsvermögen, von denen du mir vorhin erzählt hast?«
»Ja. Sie waren gut, verstehst du, aber nicht so
fundamental wichtig wie >Der Puls des Lebens<.«
»Stephanie«, sagte ich.
»Ja?« Ich glaube, sie hoffte schon auf einen
neuen Rekruten.
»Wie sie in diesen Kursen sagen würden, halt’s
Maul und verpiß dich!«
Gerechterweise muß ich sagen, daß sie lachte.
Aber dann fing sie wieder an.
»Siehst du, Soph, du bist gerade unwissentlich
auf eines meiner Probleme gestoßen. Ich glaube, ich nehme alles ein bißchen zu
ernst...«
»Vielleicht muß das Leben nicht immer mit
Problemen zu tun haben.« Ich merkte, wie ich selbst in die Rolle des
Psychiaters schlüpfte. »Vielleicht ist es normal, Probleme zu haben und
unnormal, wenn wir keine haben.«
»Wenn es nur so einfach wäre«, sagte sie.
»Aber das ist es, wirklich«, antwortete ich und
gab ihr einen Kuß, als sie ging.
Augenscheinlich
hatte jeder im Publikum schon
einmal jemanden wie Nancy Newage über sich ergehen lassen müssen, und ich war
über die vielen Lacher erfreut, die sie bekam. Ich machte meine halbe Stunde,
kassierte meine zehn Pfund und ging zur vorderen Bar, um nachzusehen, ob irgend
jemand da war, den ich kannte. Ich traf zwei, drei Leute aus Edinburgh, und wir
unterhielten uns eine Weile. Sie sagten mir Nettigkeiten zu dem Auftritt und
übten etwas
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