Mordsucht
zuckte mit den Schultern und seufzte innerlich, als ich ihr hinterherging und die Augen nach Verdächtigem offenhielt.
Wir liefen an der Garage vorbei hinters Haus und landeten schließlich in einem gepflegten Garten. Mit viel Liebe zum Detail hatte Kalle Blumenbeete angelegt, eine Hecke gepflanzt und die Bäume in Reih und Glied gesetzt. Eine Hollywoodschaukel stand in der Mitte des Grundstücks und rundete den Gesamteindruck ab.
»Hier!«, flüsterte mir Diana zu.
Ich drehte mich zu ihr um und sah sie vor einem Kellerfenster kauern. Während ich mich an der Flora erfreut hatte und meinen Ex-Kollegen ein Stück weit beneidete, kümmerte sich meine Partnerin um die wichtigen Dinge. Ich kam mir vor wie ein Volltrottel und ging neben ihr in die Hocke.
»Was ist?«, flüsterte ich.
»Riechst du das nicht?«
Ich ging näher an das auf kipp stehende Kellerfenster heran und sog in tiefen Zügen die Luft ein.
Ein bisschen behutsamer wäre von Vorteil gewesen, Herr Ratz!
Was lernte man bei einem Chemielehrer in der Schule? Bei unbekannten Substanzen sollte man sich nur vorsichtig die Luft mit der Hand zuwedeln?
Ich unterdrückte ein Husten und presste mir die rechte Faust vor den Mund. Ein unverkennbarer Geruch: Verwesung. Süßlich und beißend, kein Zweifel.
»Siehst du was?«
Diana beugte sich noch näher zum Fenster und kniff die Augen zusammen.
»Nein, es ist abgedunkelt.« Sie stand auf, ihre Knie knackten und sie streckte den Rücken durch. »Aufmachen?«
»Aufmachen!«, bestätigte ich.
In den meisten Fällen war es legitim, in ein Haus einzudringen, sobald Gefahr in Verzug war oder der Verdacht bestand, dass sich in den Räumlichkeiten eine Leiche befinden könnte. Oft verstarben alleinstehende Menschen in ihren vier Wänden, ohne dass sie vermisst wurden, und nur der penetrante Verwesungsgeruch alarmierte irgendwann die Nachbarn, die dann die Polizei riefen.
Ich war in meiner Zeit als Streifenpolizist bei solch einem Vorfall dabei gewesen. Als meine Kollegen und ich die Treppen zur Wohnung hinaufstiegen, fielen uns im Hausflur bereits Schwärme von Schmeißfliegen auf. Sie hockten an den Fenstern, an den Wänden, einfach überall. Und das war keiner Menschenseele aufgefallen? Schon ein Stockwerk vorher rochen wir es. Noch bevor wir die Wohnungstür öffneten, wussten wir, dass dahinter jemand seit längerer Zeit verweste. Eine Leiche lag halb im Flur halb im Bad. Sie hatte sich fast verflüssigt, Maden krochen in und auf ihr herum, Fliegen saßen auf dem Schädel und legten weitere Eier. Ein Kollege bezeichnete das Bild passenderweise als Matschteppich . Und das war es auch. Aus dem Menschen, den niemand vermisst hatte, war ein Haufen schleimiger Überreste geworden. So viel zum Thema Nächstenliebe und Nachbarschaftshilfe …
Wir eilten zurück zu Jürgen, der uns fragend ansah.
»Und? Was gefunden?«
»Aus einem Kellerfenster kommt Verwesungsgeruch.« Ich nickte zur Haustür. »Wir gehen rein. Zeig, was du kannst.«
Ich hatte ihn nicht umsonst mitgenommen. Meines Wissens nach war er einer der Besten, wenn es darum ging, eine verschlossene Tür zu öffnen oder ein Auto zu knacken.
Jürgen schien allzeit bereit zu sein, er nahm ein kleines Etui aus seiner Jackentasche, suchte sich die passenden Dietriche aus und begann sein Werk.
Diana und ich standen stumm nebeneinander und starrten Löcher in die Luft. Hatten wir uns nichts mehr zu sagen? Ich fand die Situation unerträglich. Erst freute sie sich über meine Rückkehr, dann war sie sauer auf mich, kurz darauf folgte ein Friedensangebot und wenig später schien sie mich ebenso zu hassen wie die Pest.
Dass Frauen Profis in Sachen Stimmungsschwankungen waren, musste ich niemandem erklären, aber bei ihr war das Auf und Ab extrem. Ich schluckte schwer. War sie schwanger?
Ein leises Klacken holte mich zurück in die Realität.
»Bitte eintreten!«, forderte Jürgen uns mit einer einladenden Geste auf.
Ich ging voran, meine rechte Hand ruhte auf der Dienstwaffe. Die Nerven zum Zerreißen gespannt. Mein Gefühl sagte mir, dass wir gleich etwas Schlimmes finden würden. Ich spürte es, es bohrte sich in meine Gedanken und meine Muskeln spannten sich an.
»Hallo? Kalle?«, rief ich. Keine Antwort. Nicht ein Pieps. Er war nicht da. Segen und Fluch zugleich. So konnten wir in Ruhe das Haus durchsuchen und nachsehen, ob er etwas mit dem Verschwinden von Snakes Angestellten zu tun hatte.
Ich blieb in der Mitte des Flurs vor dem Katzenzimmer stehen.
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