Mordwoche (German Edition)
Kopf in die Dampfschwaden des Badezimmers hinein: „Guten Morgen, Schatz, ich muss nochmal schnell raus zum Schneeschippen. Brötchen liegen in der Küche.“
Otto Kö nig legte größten Wert auf die Pflege seiner Haare, auch wenn er obenrum schon recht kahl war. Der seitliche Haarkranz allerdings erfuhr jeden Morgen seine volle professionelle Aufmerksamkeit. Mit eingeseiften Haaren schaute er kurz hinter dem Duschvorhang hervor. „Schatz, kannst du mir bitte auch noch so einen guten Kaffee mit Schaum hinstellen? Du weißt doch jetzt schon, wie der Automat funktioniert und ich habe da einfach immer zwei linke Hände.“ Gerda musste lachen, ihren Otto hätte sie mit der Schaumfrisur in jedem Zirkus als Clown anmelden können, aber seine Bequemlichkeit ging ihr zu weit. „Du, der Schnee fegt sich nicht von alleine weg. Mit der Kaffeemaschine kannst du aber gar nichts falsch machen, probier’s einfach aus.“ Sie küsste Otto und machte sich auf den Weg nach unten.
Schneeschaufel und Streusalz standen schon seit Ende Oktober bereit und waren auch fast täglich im Einsatz. Gerda hatte eigentlich die Nase voll von Kälte und Schnee. Aber es war erst Dezember, der Winter war also noch lang. Zum Glück ließ sich der Schnee gut wegräumen. Die Friseurin arbeitete sich von der Treppe zur Straße vor. Der Schneepflug drehte inzwischen seine Runde durch die Innenstadt und räumte auch die Straße vor dem Salon. Jetzt musste Gerda König nur noch den Parkplatz freischaufeln. Käfer hin oder Käfer her. Sollte sie vielleicht den Abschleppdienst rufen? Immerhin stand auf dem Schild klar und deutlich „Privatparkplatz. Unberechtigt parkende Fahrzeuge werden kostenpflichtig entfernt.“ Aber Abschleppen bedeutete Ärger. Und den wollte Gerda am liebsten vermeiden. Vielleicht hatte der Käferfahrer auch eine Panne und den Wagen deshalb hier stehen lassen? Das war immerhin schon ein richtiger Oldtimer, der hier unter seiner Schneehaube stand.
Gerda König konnte sich noch gut an das rasselnde Motorengeräusch des Käfers, mit dem sie selbst den Führerschein gemacht hatte, erinnern. Bei dem Gedanken an ihre Jugend wurde sie ganz sentimental. Das Schätzchen hier war schon ganz schön in die Jahre gekommen, aber immer noch eine Augenweide. Gerda beschloss, dem VW-Käfer vorerst Asyl zu gewähren. Schließlich konnte das Auto nichts dafür, dass es auf einem Privatparkplatz abgestellt worden war. Ein Blick ins Innere des Wagens musste allerdings schon gestattet sein immerhin stand so ein schmuckes Exemplar nicht jeden Tag vor der eigenen Tür.
Die Friseur-Meisterin trat näher an den Käfer heran, dessen Scheiben zugefroren waren, und beugte sich herab. Moment, konnte das sein? Vor Schreck wich sie einen Schritt zurück. Was sah sie da? Sie wollte ihren Augen nicht trauen. Hinter der mit zarten und fast undurchsichtigen Eiskristallen überzogenen Scheibe sah sie die Umrisse einer Person. Da saß tatsächlich jemand im Auto! Gerda klopfte an die Scheibe. „Hallo, Sie, alles in Ordnung?“ Nichts rührte sich. Gerda klopfte erneut, aber keine Reaktion. Gerda wurde mulmig zumute. Da stimmte doch etwas nicht! Kein Mensch saß in einem zugefrorenen Auto wartete. Da musste etwas passiert sein! „O Gott, o Gott“, flüsterte Gerda König aufgeregt und sah sich hilfesuchend um. Aber es war niemand da, der ihr diese Situation hätte erklären können. Sie musste handeln. Schnell legte sie die Schneeschaufel aus der Hand und rannte vorsichtig über den freigeräumten aber noch nicht gestreuten Weg ins Haus zurück.
„Otto, Otto, stell dir vor, da sitzt jemand im zugefrorenen Auto auf dem Kundenparkplatz und rührt sich nicht!“ Atemlos war Gerda in die Küche gestürmt. Der Schnee an ihren Schuhen bildete sofort kleine Pfützen auf dem Fliesenboden. Vor Otto lagen seine beiden dick mit Butter bestrichenen Laugenbrötchen. Aug in Aug mit dem neuen Kaffeevollautomaten und allein mit der Technik, hatte er sich letztlich doch für einen von Hand gefilterten Kaffee entschieden. Gerdas Auftritt brachte ihn jetzt um den genüsslichen ersten Biss in sein Brötchen. So aufgeregt wie seine Frau gerade dastand, konnte er sie unmöglich vertrösten. Hier musste er gleich handeln, das sah Otto sofort. „Schatz, jetzt setz’ dich erst mal hin. Was ist denn genau passiert?“ Gerda König dachte nicht im Schlaf daran sich hinzusetzen. „Mensch, Otto, da stimmt was nicht! Kein Mensch hockt reglos in einem eingeschneiten Auto.“
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