Mordwoche (German Edition)
Gewichtsverlust mit Scherzen zu überspielen, aber jeder sieht, wie die Krankheit an ihm nagt. Und plötzlich schaust du der Endlichkeit ins Angesicht und haderst mit dem Schicksal. Warum mein Vater? Ich brauche ihn noch! Er hat einen schönen, unbeschwerten Lebensabend verdient. Verdammte Scheiße!“ „Leider gibt es keine Gerechtigkeit, wenn das Schicksal zugeteilt wird. Aber du hast Recht, Krebs ist Scheiße, darauf könnte die Welt wirklich verzichten.“ „Oberscheiße. Megaoberscheiße.“ Alex pflichtete ihr bei: „Totale Megaobersuperscheiße!“ Susanne wirkte erleichtert. Das Fluchen hatte geholfen.
„Und das Gift? Wo hast du das her, Maus?“ „Als klar war, dass es keine Heilung mehr für meinen Dad gibt, habe im Internet recherchiert und dabei einen Verein für humanes Sterben gefunden. Erst kam ich mir vor wie eine Vatermörderin, als ich mit den Leuten dort Kontakt aufnahm. Dann habe ich aber schnell bemerkt, dass unser Schicksal kein Einzelfall ist und dass viele Angehörige diesen letzten Dienst für ihre geliebten Mütter, Väter, Brüder oder Schwestern übernehmen. Jedenfalls kam ein Mitarbeiter des Vereins zu meinen Eltern nach Hause, um sich mit meinem Vater zu unterhalten. Er wollte einfach sichergehen, dass meine Schwester und ich nicht einfach unseren pflegebedürftigen Vater über die Klinge springen lassen, um endlich an das Erbe zu kommen. Jedenfalls hat er gesehen, dass mein Vater den Entschluss aus freiem Willen getroffen hat, sehr an seinem Leben hängt und das Gift nur als letzten Ausweg sieht. Ein paar Tage nach dem Besuch kam die Zyankali-Kapsel dann per Einschreiben.“
„ Und warum hast du das Gift gerade jetzt rausgesucht? Geht es deinem Vater etwa so schlecht, dass er Schluss machen will?“ „Als ich neulich mit ihm gesprochen habe, da klang er schon ziemlich fertig. Und dabei er hat sich bestimmt bemüht, sich nicht anmerken zu lassen, wie schlecht es ihm wirklich geht. Er bat mich dann, meine Kapsel mitzubringen.“ „Deine Kapsel? Gibt es denn mehrere?“ „Ja, wir haben eine echte und zwei Placebos, die mit destilliertem Wasser gefüllt sind. Ich habe eine Kapsel, Katrin und Mama auch. Papa wollte nicht, dass eine von uns mit dem Gedanken weiterleben müsste, ihm die tödliche Dosis verabreicht zu haben. So kann sich jede von uns einreden, dass sie ihm im Falle des Falles nur eine Wasser-Kapsel gegeben hat.“
Alex schaute betroffen , da taten sich Abgründe auf! „Ich bin mir jetzt gar nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee ist, dass wir deinem Vater in seinem Zustand ein neues Familienmitglied zumuten sollten. Ich könnte auch hierbleiben. Es wäre für mich vollkommen ok, wenn du allein fahren möchtest.“ „Nein, bitte komm mit. Wenn es wirklich so schlecht um meinen Vater steht, dass er das Gift braucht, dann stehe ich das allein nicht durch. Außerdem hatte ich am Telefon das Gefühl, dass ich ihn ein wenig aufmuntern konnte, als ich ihm verraten habe, dass ich dieses Jahr an Weihnachten nicht allein nach Hause komme. Für meinen Vater ist es das schönste Geschenk, wenn die ganze Familie beisammen ist. Wir sind seine beste Medizin, sagt er immer.“
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Georg Haller, fünfundvierzig Jahre alt und Hauptkommissar in Bärlingen, brauchte morgens keinen Wecker. Seine innere Uhr ließ ihn jeden Tag automatisch um 6.00 Uhr erwachen. Pflichtbewusst, ordentlich und auch ein wenig einsam. Er hatte keine Familie. Außer ihm gab es nur noch seine Mutter, aber die war seit ein paar Monaten weg. Sein Vater war schon lange tot; er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie es war, das Leben zu dritt. Es gab in seiner Erinnerung nur seine Mutter und ihn. Sie hat ihm erzählt, dass er als kleiner Junge gern zu den Eltern ins Bett gekrochen ist, weil er sich nachts in seinem Zimmer so allein fühlte und Sorge hatte, dass ihn der Räuber Hotzenplotz holen käme. Bei den Eltern im Bett konnte sich der kleine Schorsch sicher fühlen und nachdem er nachts regelmäßig mit kalten Füßen vor dem Ehebett stand und um Unterschlupf bat, legten seine Eltern kurzerhand ein drittes Kopfkissen und eine weitere Decke ins Bett und er durfte im „Gräbele“ zwischen ihnen schlafen. Georg hatte keine Erinnerung mehr an diese nächtlichen Wanderungen und die Zeit des Nacht-Asyls im elterlichen Schlafzimmer aber das Bett war für ihn immer noch ein Ort der Geborgenheit. Vielleicht war das auch der Grund, warum er sich noch nicht dazu durchringen konnte, die Möbel
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