Morenga
Schwein aufführen, dann grunzen Sie wenigstens auch und reden nicht deutsch. Treptow konnte in dieser Nacht, ganz gegen seine Gewohnheit, schlecht einschlafen, weil er sich immer wieder neue, knappere und treffendere Antworten ausdachte.
Dabei war an Bansemer durchaus nichts Ungewöhnliches, jedenfalls nicht für die Bewohner Bethaniens, die in den vergangenen Jahren viele Europäer kennengelernt hatten und darunter auch, das lag sozusagen in der Natur des Landes, höchst eigenwillige Charaktere: Den spleenigen englischen Wissenschaftler Stephenson, der allein und zu Fuß (er war ein Pionier des Schweizer Alpinismus) ganz Afrika von Kapstadt bis Kairo durchwandern wollte; Gorth, der barhäuptig und in Jesuslatschen durch die glühende Hitze wandelte, da die Erde bekanntlich der Fußschemel Gottes ist; den lungenleidenden Shelton, einen Aristokraten, der in dem trockenen Klima Heilung suchte und einen Moment Ewigkeit, vor allem aber kleinen Hottentottenjungen für Himbeerbonbons den Hintern tätscheln wollte; den gewaltigsten Säufer aller Zeiten, den Arzt und Elefantenjäger Doktor Dominicus; Klügge, der das größte Branntweinfaß, das Afrika je gesehen hat, durch die Wüste schleppen ließ; die beiden Vollmatrosen Mic und Mac, die Unzertrennlichen genannt, aus Hamburg, die nach einem Schiffbruch eine Hütte am unteren Swakop bauten und dort von Kuhmilch, die sie zu Joghurt verarbeiteten, lebten, zufrieden und glücklich alt wurden wie Philemon und Baucis; Missionare, die mit der Rumflasche in der Hand das Kreuz predigten; Händler, die neue, ungeahnte Schanker-Varianten und hochexplosiven, nervtötenden Trinkspiritus in den Ort brachten, und neuerdings, seit einigen Jahren, auch deutsche Beamte, mit Zwickern auf der Nase und Stempelfarbe an den Fingern, die sich bei der Abfassung der Schutzverträge blaue Ärmelschoner überstreiften und an Sonntagen in reichbestickten Diplomatenuniformen durch den Sand stolzierten wie der Reichskommissar mit den fetten Händen, Doktor Göring, den man wie einen Paradiesvogel bestaunen konnte. Sie alle waren, abgesehen von jenem melancholischen Samtbarett aus Königsberg, gekommen, um Geschäfte zu machen, Gold zu finden, Abenteuer zu erleben oder aber Seelen für die Rheinische Missionsgesellschaft zu fischen. Einige, wenige, wurden reich. Viele starben hier im Lande. Unerhörte, einmalige Tode, die ihrer Leben würdig waren. Von Elefanten zertrampelt. Besoffen unter die schweren Holzräder ihrer Ochsenwagen gerollt. Der Biß einer Sandviper. Sie schossen sich versehentlich oder absichtlich Kugeln in den dunen Kopf. Einem wurde nachts von seinem Taujungen die Kehle durchschnitten. Viele verirrten sich und verdursteten, andere starben im Delirium. Das waren die normalen Todesfälle.
Was an Treptow neu war, geradezu unheimlich, war nicht seine wütende Energie, sein schwindelerregender Arbeitseifer, sondern daß man mit ihm nicht verhandeln konnte, so wie man mit allen anderen Europäern verhandelt hatte, den Händlern, Missionaren, Goldsuchern. Und das nicht, weil Treptow ein eiskalter Geschäftsmann war, sondern weil er nicht zuständig war. Treptow legte mit seinem Gerät, das dem freundlichen Fotoapparat so ähnlich war, die Grenzen des vom Stamm verkauften Landes fest, und zwar genauer, als es jeder Pflug hätte tun können. Eine Linie, so dünn, daß man sie nicht mehr sehen konnte, wie Treptow das einmal selbst erklärte.
Man hatte gehofft, beim Abreiten der Grenzen durch geschicktes Dirigieren der Pferde wenigstens Teile der besten Weiden für den Stamm zu erhalten. Mit List hätte man ihn an guten Wasserstellen vorbeiführen können. Treptow aber peilte durch seinen Theodoliten, arbeitete mit Winkel und Meßketten und bot sogar an, seine Arbeit mathematisch zu überprüfen, und da niemand dazu imstande war, gab er Mathematikunterricht in der Missionsschule, wobei sich eine große Begabung der Hottentotten für Mathematik zeigte. (Dazu muß allerdings gesagt werden, daß Hartmann, ohne daß Treptow davon erfuhr, einigen Nachzüglern Nachhilfeunterricht gab.) Treptow bemerkte beim Zeichnen der Gebietskarten natürlich als erster, daß man den Kapitän des Stammes regelrecht über den Löffel balbiert hatte. Schon beim Kauf eines Küstenstreifens hatten Lüderitz und Vogelsang, diese beiden ehrbaren hanseatischen Kaufleute aus Bremen, ausdrücklich die Geographische Meile in den Vertrag aufgenommen, wohl wissend, daß die Hottentotten nur die Englische Meile kannten und
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