Morenga
wichtig auch für spätere berufliche Erfolge. Am stärksten aber war seine Lust, etwas aufzubauen, wo nichts war. Treptow war von der bezwingenden Macht der Technik überzeugt. Wo die Natur noch Defekte zeigte, würde man sie über lang oder kurz mit technischen Mitteln beheben. Man würde Wüsten bewässern, Flüsse, die alljährlich weite Landstriche durch Überschwemmungen verwüsteten, regulieren, aufstauen oder umleiten. Alles war technisch machbar, und zwar so, daß es den Menschen zum Nutzen gereichen würde. Treptow war ein technischer Fanatiker, wie ein Professor einmal sagte. Als Zehnjähriger entdeckte er noch einmal, ohne je etwas von James Watt gehört zu haben, die Dampfmaschine. Sein Vater, ein schnauzbärtiger Schankwirt aus Kreuzberg, verfolgte fassungslos, wie sein Sohn Wecker, Drehorgeln und Orchestrien auseinander- und wieder zusammenbaute, wobei meist irgendein Teil übrigblieb, ein paar Schrauben, Bolzen oder Muttern. Die Apparate aber funktionierten wie früher. Da war also stets etwas überflüssig in dem Inneren der Maschinen. Nachdem Treptow sein Abitur bestanden hatte, wollte er Architektur studieren. Man riet ihm aber ab, da er leicht farbenblind war. So stürzte er sich auf die Vermessungstechnik, studierte nebenher Hoch- und Tiefbau, wobei er sich insbesondere für den Bau von Tunnels und Staudämmen interessierte. Während seines Studiums grübelte er über verschiedenen Projekten, die dann alle, über das nur Skizzenhafte hinausgehend, eine Unmenge an geologischen und technischen Daten, an Meßtischblättern, Karten und Berechnungen umfaßten. Zunächst wollte er die Sahara bewässern, indem er den Nil durch unterirdische Tunnels in die Kattarasenke umzuleiten gedachte. Er erhoffte von diesem riesigen, sich neu bildenden Binnensee eine Klimaveränderung, die sich auch für die übrigen Teile der Sahara fruchtbar auswirken könnte. Dann wollte er das Kaspische Meer trockenlegen. Die Wolga sollte bei Zarizyn, dem späteren Stalingrad und heutigen Wolgograd, in das Schwarze Meer umgeleitet werden. Treptow hatte die Verdunstungsmenge des Kaspischen Meers ausgerechnet, davon die noch verbleibenden Zuflüsse, die er durch Interpolation gewann, abgezogen. Danach wäre das Meer im Jahre 1978 trockengefallen. Zuletzt, während seiner Vermessungstätigkeit in Nordfriesland, arbeitete er an einem Tropenauto. Dieses Auto war eine Art Lokomotive auf Rädern, die lenkbar waren. Der Kessel konnte mit Kohlen oder Holz geheizt werden. Letzteres war besonders wirtschaftlich in Gebieten mit tropischen Wäldern, wo der Heizer und der Wagenführer hin und wieder anhalten und einfach Holz schlagen konnten. Dieses Tropenauto sollte vier bis fünf Anhänger ziehen. Hunderte von Trägern und Lasttieren konnten dadurch eingespart werden.
Treptow nervte seine Mitmenschen mit seiner geradezu berserkerhaften Energie. Er hatte, obwohl sehr schlank, eine Luftverdrängung, die empfindliche Gemüter aus den Räumen, die er betrat, vertrieb. In den letzten Wochen vor seiner Abreise erzählte er nur noch von Südwestafrika, als habe er dort schon zehn Jahre gelebt. Tatsächlich hatte er alle erreichbaren Forschungs- und Reiseberichte gelesen, hatte sich, da er noch ungedient war, im Schießen und im Reiten geübt und sich ein morgendliches Gymnastikprogramm ausgearbeitet. Nach fünfunddreißig Liegestützen machte er fünfzehn Hocksprünge auf den Tisch, danach stemmte er sich zehnmal auf dem rechten und zehnmal auf dem linken Bein hoch und arbeitete zum Abschluß fünfzehn Minuten mit Hanteln. Er wollte gut durchtrainiert seine Stelle in Südwest antreten, einem Land, das wegen seiner Höhenlage und den starken Temperaturschwankungen Herz und Kreislauf stark belastet.
So konnte man Treptow in Bethanien beobachten, wie er morgens aus der Missionsstation federte, mit den Armen um sich schlug, plötzlich in den Hüften abknickte und mit durchgedrückten Knien die Handflächen auf den Boden legte. Danach rasierte er sich mit einem kleinen Rasierapparat, der neuesten Erfindung aus England, und wusch sich im Freien. Nach dem Frühstück bestieg er sein Pferd, seinen Assistenten und die Gehilfen zur Eile mahnend und antreibend. Und wenn er dann am frühen, noch kühl sonnigen Morgen aus dem Ort ritt, hatte man den Eindruck, daß er tief durchatmete und am liebsten gesungen hätte.
Währenddessen wanderte sein Kollege, der Geologe Hartmann, durch die Landschaft, den Blick auf den Boden gerichtet, als grüble er sorgenvoll
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