Morenga
der Meinung, daß allen Bildern etwas Resignatives, Tristes anhafte, sie daher nicht geeignet seien, den kolonialen Gedanken im Volke zu fördern.
So verschwanden die Bilder im Königsberger Archiv von Hermann Schultz und wurden nach seinem Tod in Schuhkartons auf einem Dachboden gelagert, wo sie im April 1945 nach einem Artillerietreffer mit dem Haus verbrannten. Nur vier der 724 Fotografien blieben erhalten. Das Bild von Lukas (Alter Mann aus Bethanien), von dem Halbmenschen, dem katholischen Missionar mit den Kommunionskindern und ein scheinbar nichtssagendes Bild, auf dem ein Rind zu sehen ist, das einem Hottentottenjungen die Hand leckt. Schultz hatte es bei seiner Abreise aus Bethanien dem Stamm geschenkt. Er hatte den Einwohnern alle seine entwickelten Bilder vorgelegt und angeboten, ihnen eines dieser Bilder, das sie sich aussuchen konnten, zu schenken. Männer, Frauen und Kinder drängten sich im Missionszimmer, man betrachtete die vorliegenden Bilder, beriet sich und entschied sich zur Überraschung von Schultz für dieses Bild, das eine gutgenährte Kuh mit einem Jungen zeigte.
Bis zum Anbruch des großen Aufstandes erzählte man sich von diesem sonderbaren Weißen, der mit seinem schwermütigen Barett langsam suchend durch den Ort ging und von niemandem etwas haben wollte und nichts forderte, einmal abgesehen von seiner Bitte, sich einen Augenblick ruhig zu verhalten, wenn er hinter seinem Apparat stand.
Der Mann aber, der jetzt durch sein Gerät blickte, den Tropenhelm im Nacken, winkte den sonntäglich gekleideten Kindern und Greisen Bethaniens zu, sie möchten vor seinem Gerät verschwinden, damit er die weißrote Latte mit den schwarzen Maßstrichen anpeilen könne. Der Landvermesser war achtlos an der Kirche vorbeigegangen, hatte den Halbmenschen gesehen und ulkig gefunden und hatte, als man ihm anbot, ihn zu einem gewaltigen Aschenhaufen zu führen, der einmal das riesige Faß eines Branntweinhändlers gewesen sein soll, nur gelacht. Die blühende Phantasie dieser Leute steht, wie Treptow zu seinem Assistenten Bansemer sagte, im reziproken Verhältnis zur Unfruchtbarkeit dieses Landes. Treptow, hinter dem Theodoliten stehend, rief die Werte seiner Messungen dem Assistenten zu, der sie in die Tabelle eintrug, während der Hottentottenjunge, die Meßstange haltend, still stand und sogar die Luft anhielt. Treptow mußte erst erklären, daß er keine Fotografien mache, man deshalb auch nicht wie erstarrt stehen müsse, sondern daß er das Land vermesse, das man der Landgesellschaft verkauft habe.
Treptow hatte sich sofort beworben, als er in der ›Voß’schen Zeitung‹ las, daß die Landgesellschaft einen Vermessungsingenieur für Südwestafrika suche. Er hatte vor zwei Jahren sein Diplom mit Auszeichnung an der Technischen Hochschule in Berlin-Charlottenburg gemacht und danach zwei Jahre bei Niebüll gearbeitet, wo man Neuland gewinnen wollte. Mit aufgekrempelten Hosenbeinen war er wochenlang bei Ebbe durch das Watt gestapft, begleitet von schweigsamen Nordfriesen, die die Meßlatten trugen und mit blauen Augen in die Ferne sahen. Er hatte sich nach seinem Examen aus mehreren Angeboten diese Arbeit ausgesucht, weil hier etwas ganz Neues entstand, ein kühnes Projekt, wie er als gebürtiger Berliner fand, dem Meer Land abzuringen. Dort, wo das Meer war, sollten einmal Wiesen sein, Häuser stehen, Menschen und Tiere leben. Es war dieses Wissen, Pionier zu sein, das ihn mit Energie und Spaß an seine Arbeit gehen ließ, auch dann, wenn er im eisigen Nordost im Schlamm stand, die Füße gefühllos, mit klammen Fingern, umgeben von diesem hartnäckigen Schweigen der Friesen, das ihn schließlich, ganz gegen seine Gewohnheit, wortkarg werden ließ. Als die Vermessungsarbeiten an dem Koog zu Ende gingen, sah er sich nach einer neuen Stellung um. Er hätte bei der Vermessung eines Truppenübungsplatzes in der Nähe von Münster in der Lüneburger Heide arbeiten können. Ein günstiges Angebot, finanziell gesehen. Aber er entschied sich dann doch sofort für die Landgesellschaft in Südwestafrika. Schon während seines Studiums hatte er sich vorgenommen, einige Jahre im Ausland zu arbeiten, wenn möglich in Afrika oder Südamerika. Er hatte ziemlich präzise Vorstellungen von seiner Zukunft, so hatte er sich beispielsweise fest vorgenommen, nicht vor dreißig zu heiraten, und zu dem Leben, wie er es leben wollte, gehörte auch, daß er sich in der Welt umgesehen haben mußte, wie er selbst sagte. Das war
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