Morenga
Die Freßgier dieser Tiere ist bekannt. In nur wenigen Wochen tragen sie solide Häuser samt Inventar ab. Es gab Farmer, die nach einem dreimonatigen Europabesuch zurückkamen und staunend vor einem Häufchen Ziegelmehl standen, das ehemals ihr Haus war. Termiten verdauen in der Gärkammer ihres Hinterdarmes sogar die Steineiche mühelos. Die Landgesellschaft aber wurde von der entsetzten Alten nach einer Woche unversehrt vor dem Termitenhügel gefunden. Vier Tage darauf starb sie plötzlich, uralt, aber kerngesund. Nach einem Monat bestaunten die Bewohner Bethaniens mit Schaudern die befrackte Landgesellschaft, die noch immer ohne jede Freßspur vor dem Termitenbau lag.
Ein kleines Wunder, sagte Missionar Bam bekümmert und erwähnte wieder die dünne Eisschicht des Glaubens bei seinen Pfarrkindern. Die geringste Belastung, und schon bricht man ein.
Treptow glaubte nicht an Wunder. Er war überzeugt, daß man dieses – zugegebenermaßen – ungewöhnliche Phänomen erklären könne. So konnte man ihn eines Abends beobachten, wie er mit einem langen Stock zu dem Termitenhügel hinüberging und die Puppe aus dem Ameisengewimmel herausfischte. Dann untersuchte er die Puppe. Sie bestand tatsächlich nur aus Lumpen. Selbst unter dem Vergrößerungsglas konnte er nichts Außergewöhnliches entdecken. Er bedauerte, kein Mikroskop im Gepäck zu haben. Er setzte die Puppe, die, wie er fand, reizvoll archaische Züge hatte, auf den Schrank. Dort vergaß er sie. Als er nach Deutschland zurückreiste, packte er sie als Reiseandenken in seinen Tropenkoffer. Das Unheimliche aber war, wie er seinen Enkelkindern viele Jahre später erzählte, daß er von der Puppe, die auf einem Bord neben einem Straußenei lag, eines Tages nur noch ein paar Fetzen Stoff fand. Sie war von ganz gewöhnlichen Hausameisen, die urplötzlich alle Zimmer überschwemmten und ebenso plötzlich wieder verschwanden, aufgefressen worden. Wenige Tage später, im Jahre 1918, mußte die Landgesellschaft aufgelöst werden. Treptow betonte dann aber auch immer, daß es ganz sicher ein Zufall gewesen sei, aber eben ein merkwürdiger. Was er nie erzählte, war, daß Missionar Bam ihn bekniet hatte, auf den Agenten der Gesellschaft mäßigend einzuwirken. Eines Abends, im Jahre 1887 nämlich, kam der Missionar Bam zu ihm und berichtete, daß unter seinen Schäfchen eine merkbare Unruhe wegen der Landverkäufe ausgebrochen sei, die sich einige Radikale im Stamm zunutze machten. Elemente übrigens, die schon seit längerer Zeit nicht mehr in seine Gottesdienste kämen und durch die Auswahl einseitiger, tendenziöser Bibelzitate wie: Eher ginge ein Kamel durchs Nadelöhr, als daß ein Reicher in den Himmel käme, die Gemeinde verunsicherten. Bam sprach die Befürchtung aus, daß es zu einer Erhebung gegen die Deutschen kommen könne. Er wolle gar keine moralischen Bedenken vorbringen, obwohl man sagen müsse, daß beim Kauf der Stamm regelrecht übertölpelt worden sei, sondern er versuche als Gottesmann lediglich, den Frieden auch auf Erden zu sichern.
Treptow erwiderte, er habe als Landvermesser keinen Einfluß auf die geschäftlichen Dinge. Seine Arbeit sei nicht, Land aufzukaufen, sondern das aufgekaufte Land zu vermessen. Und dabei gebe es keine Schummelei, das gehe gegen seine Berufsehre, seine Arbeit sei durch mathematische Berechnungen exakt überprüfbar. Er stehe genaugenommen über den Parteien, einmal abgesehen von einer gewissen Loyalität gegenüber der Gesellschaft, bei der er ja unter Vertrag stehe. Immerhin, er erklärte sich auf Drängen Bams bereit, bei nächster Gelegenheit mit dem Agenten zu reden, den er nicht kannte.
War das moralisch überhaupt zu verantworten, daß man diesen Menschen für ein paar Mark das Land abhandelte, für Geld, das wußte er inzwischen, das schon bald als Branntwein durch die Kehlen gejagt wurde? Andererseits, wie sollte dieses Land je entwickelt werden? Diese freundlichen Leutchen taten genausoviel, wie unbedingt nötig war, und keinen Handschlag mehr.
Jeder wirtschaftliche und kulturelle Fortschritt muß so im Keime ersticken, schrieb Treptow in einem Brief an seinen ehemaligen Professor, eben jenen, der von Treptow behauptet hatte, er sei ein technischer Fanatiker. Sie sind wie die Kinder, die nur im Heute leben und die nicht interessiert sind, was morgen kommt, darum auch keinerlei Vorsorge für sich und ihre Nächsten treffen. Nach alter Überlieferung gehört es mit zu den Pflichten eines Kapitäns, für seine
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