Morenga
Frage. Genausogut hätte man sich fragen können: warum lebt man. Warum lebe ich? Treptow bohrte sich unter dem Geschrei der Zikaden in diese Frage, bis er verschwand, bis er sich selbst nicht mehr sah.
Warum arbeitet man, das war doch eine typische Hottentittenfrage. Dann fiel ihm auf, daß er schon wieder Hottentitten gedacht hatte. Und in dieser tiefen Dunkelheit, in diesem stickigen Zimmer, wurde ihm plötzlich klar, daß er immer, wenn er nachts mit einem schmerzenden Prügel aufwachte, Sehnsucht nach diesen Hottentottenmädchen gehabt hatte. Aber er hatte immer Angst gehabt, sich die Syphilis aufzuhalsen.
Treptow hatte überhaupt Angst vor Dreck und Schmutz und darum auch, in den letzten Tagen, vor sich selbst. Denn schon fünf Tage hatte er sich nicht mehr gewaschen (Kultur zeigt sich im Gebrauch der Seife), verrenkte auch nicht mehr morgens auf der Veranda Arme und Beine zur allgemeinen Belustigung. (Noch vor fünf Tagen war es ihm schnuppe gewesen, was die Einwohner von ihm dachten.) Und waren sie früher jeden Morgen Punkt sechs zur Vermessungsarbeit losgeritten, wurde es jetzt manchmal zehn oder gar elf, bevor sich der Trupp in Bewegung setzte. Treptow im Zuckeltrapp als letzter, den eigenen sauren Nachtschweiß in der Nase.
Bei dem ist der innere Globus in Bewegung geraten, sagte der Landvermesserassistent Bansemer, direkt menschlich. Bansemer besaß die Fähigkeit, auch im sturzbesoffenen Zustand noch auf dem Pferd sitzen bleiben zu können.
Treptow starrte in die Dunkelheit. Über ihm, irgendwo da oben, würden jetzt wieder die Wanzen entlangziehen und sich blutgierig auf ihn stürzen. Er kratzte sich die juckenden Wanzenstiche. Die Menschheit stellt sich nur Fragen, die sie beantworten kann, sagte er sich immer wieder. Aber dieser Satz, der ihm zunächst so vernünftig erschien, wurde immer leerer, je öfter er ihn sich vorsagte, und schließlich hätte er auch sagen können: Die Menschheit ißt nur Blumenkohl, den sie selbst anbauen kann.
Begonnen hatte alles vor fünf Tagen, als er von einem Vermessungsritt zurückkam, hinter sich den erschöpften Bansemer und dahinter, weit zurückgefallen, die Hilfskräfte. Er sprang vom schäumenden Pferd, wusch sich kalt, zog sich um und begann danach, in seinem Zimmer die gesammelten Daten der Vermessung auszuwerten. Vor seinem Fenster saß in der Dämmerung die Tabaksrunde, gemütlich die Pfeifen schmauchend und schwatzend. Da hörte er plötzlich Lukas den neben ihm sitzenden Geologen Hartmann fragen: Warum dieser Treptow sich derart abrackere. Hartmann nahm nur kurz die Meerschaumpfeife aus dem Mund und sagte: Das sei gar nicht so leicht zu beantworten.
Treptow, über den Tisch mit den Karten gebeugt, die den Stamm auf dem Trockenen zurückließen, mußte grinsen.
Nachts konnte er aber nicht einschlafen, weil ihm diese alberne Frage immer wieder durch den Kopf ging. Am nächsten Morgen, als er auf der Veranda seine zwanzig Rumpfbeugen machte, sah er sich dabei plötzlich mit den Augen jener, die dieses Schauspiel allmorgendlich verfolgten, und zwar ohne jedes Grinsen und ohne jeden Kommentar. Was für eine komische Bewegung so eine Rumpfbeuge doch war. Wie er da stand, die Knie durchgedrückt, und dann ruckartig nach vorn in den Hüften abknickte, um mit der rechten Hand auf die linke Fußspitze zu tupfen, den Oberkörper wieder hochschnellte, wieder abknickte, mit der linken Hand auf die rechte Fußspitze auftupfte. Das hatte etwas Mechanisches, Maschinenhaftes. Ihm fiel das Wort Hampelmann ein, und er unterbrach sogleich seine Übung, schüttelte, gleichsam als Übergang, etwas die Beine aus. Er hatte nur neun Rumpfbeugen gemacht. Am folgenden Tag stellte er sein Gymnastikprogramm ein.
Eine Woche zuvor hatte ihm die Missionarin Bam von den Gerüchten erzählt, die im Dorf umliefen. Es hieß, der lange Deutsche kaue eine Wurzel, die ihn dazu triebe, so rastlos zu arbeiten. Genauer: Er müsse diese Wurzel auf Geheiß der Gesellschaft kauen. Wie lächerlich, sagte Treptow, was die Phantasie dieser Leutchen doch für merkwürdige Blüten treibt. Tatsächlich aber hatte er, wie er sich dann besann, hin und wieder eine Karotte aus dem Garten der Missionarin geknabbert, da er sich mehrmals diese verdammten Spulwürmer aufgehalst hatte, die nachts nach draußen drängten, sich in seinem Anus aalten und unerträglich juckten. Die Missionarin erzählte weiter, daß, nachdem dieses Gerücht im Ort die Runde gemacht hatte, mehrmals in ihrem Garten Karotten
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