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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Untertanen zu sorgen, die dann auch jeden Augenblick zu seinen Diensten bereitstehen müssen. Sie können unter sich schwerlich für Lohn arbeiten. Es heißt bei ihnen grundsätzlich: Wir helfen einander! Dadurch entsteht eine große Unordnung, und das ist die Hauptursache, warum die Leute zu nichts kommen können. Es ist dies (der Kommunismus) eine eingebürgerte Sitte bei ihnen, die umzugestalten auch die Missionare nicht imstande sind. Diese Gewohnheit ist ihnen bereits zur zweiten Natur geworden. Vielleicht ist es darum gut, daß sie jetzt das Land verkaufen, das sie nicht richtig zu nutzen in der Lage waren, damit eine Entwicklung in Gang gebracht wird, bei der auch diese Leute endlich zu arbeiten lernen und langsam an die Zivilisation herangeführt werden.
    Nachdem Treptow den Brief an seinen väterlichen Freund abgeschickt hatte, fühlte er sich etwas wohler, sah, wie er fand, auch die Dinge wieder deutlich, ohne die Schlieren der letzten Tage. Was ihn störte, war, daß er so lange auf Antwort warten mußte. Ein Brief brauchte Monate, um nach Deutschland zu kommen, und die Antwort dauerte ebensolange. Und so stellte sich schon am Abend wieder dieses lähmende Unbehagen ein, etwas ihm völlig Unbekanntes, das er nicht einmal in den naßkalten Nächten Frieslands kennengelernt hatte. Seit Tagen lag auf seinem Schreibtisch an derselben Stelle aufgeschlagen ein Lehrbuch über die Übertragung von Dampfkraft auf lenkbare Radachsen, eine Neuerscheinung aus England. Auf dem Schreibtisch lagen Zahlen und Daten aus den Vermessungen der letzten Tage, die Treptow nicht mehr berechnet hatte. Er saß am offenen Fenster, starrte in die Nacht. Die Luft war wie Seide. Eine fette Kakerlake kroch über seinen Schreibtisch und dann über die Landkarte. Es gab ein kratzendes Geräusch. Sie wanderte zu seinem Bett hinüber, aber er stand nicht auf, um sie zu zertreten. Was ihn überraschte, war, daß er sich nicht ekelte, als sie unter seinem Kopfkissen verschwand. Von draußen hörte er das Schwatzen der Tabakrunde um Hartmann und weiter hinten, ferner, Gesang und eine Maultrommel. Dort feierte Bansemer mit den Bewohnern den Geburtstag des Kaisers nach Hottentittenart. Habe ich Hottentitten gedacht, fragte sich Treptow erschrocken. Gern wäre er jetzt einfach hinausgegangen und hätte sich zu Hartmanns Tabakrunde gesetzt. Lieber noch wäre er ins Dorf hinübergegangen, wo sie jetzt zum Gesang rhythmisch in die Hände klatschten, also tanzten. Unter ihnen dieser verkrachte Artillerieleutnant. Diese Saufgurgel hatte die beneidenswerte Fähigkeit, überall sogleich mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Eingeborene, die mit kalttückischem Blick jeden Weißen musterten und verstockt schwiegen, verbrüderten sich mit ihm, spätestens nach dem vierten Glas Rum. Für Treptow unerklärlich aber war, wie Bansemer sich mit Hottentotten verständigte, die nur Nama sprachen, da er selbst kein Wort sprach oder verstand. Bansemer redete ein Gemisch aus Sächsisch, Französisch und Englisch, und die Leute nickten bestätigend mit dem Kopf, antworteten auf Nama, und Bansemer schlug ihnen plötzlich, als habe er alles verstanden, lachend auf die Schulter, knuffte sie leicht vor die Brust und sagte: très bien, formidable, that was good, de Fleescher sachte eenfache nee, vraiment, that’s very good. Manchmal hatte Treptow den Verdacht, daß Bansemer doch Nama verstünde, es aber verschweigen würde. Andererseits war es doch unwahrscheinlich, da die Hottentotten dann auch Sächsisch hätten verstehen müssen.
    In den vergangenen Nächten hatte er kaum geschlafen. Übermüdet lag er im Bett, dessen Füße er in vier mit Petroleum gefüllte Dosen gestellt hatte. So hatte er eine Zeitlang den Ansturm der Wanzen auf sein Bett abdämmen können. Inzwischen krochen sie an den Wänden hoch, dann an der Decke entlang, bis sie über seinem Bett waren, von dort stürzten sie sich auf ihn. Er bildete sich ein, den Aufprall dieser winzigen Chininpanzer durch das schweißnasse Laken, mit dem er sich zudeckte, zu spüren. Er wälzte sich auf der Matratze und grübelte, beständig sich kratzend, über eine Frage nach, die eigentlich gar nichts weiter mit seiner Arbeit zu tun hatte: warum er überhaupt arbeite. Und während er sich das fragte, dachte er immer auch: Was für eine idiotische, alberne Frage. Was für eine kindische Frage. Eine Frage, die man doch systematisch gar nicht beantworten konnte. Eine unsystematische Frage. Genaugenommen gar keine

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