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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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nach vorne herüberwippen, nicht ganz sicher ausschließen lassen. Will man also – und darauf kommt es m. E. an – die plötzlichen Unglücksfälle nach körperlichen Züchtigungen ausschließen oder wenigstens soviel wie möglich ausschließen – so wird kaum etwas anderes übrigbleiben, als an Stelle des Tauendes ein Instrument wie den Kiboko zu wählen, welcher wegen seines geringen Gewichtes eine Tiefenwirkung wie das Tauende nicht entfalten kann, wenn er auch bezüglich seiner Wirkung auf die Haut weniger »human« ist.
    gez. Dr. Steudel, 23. 6.

Sich die Hände schmutzig machen

    Was treibt jemanden dazu, den Chimborazo zu ersteigen? Mit einem Freiballon über den Nordpol zu fliegen? Die Wüste Gobi zu durchqueren?
    Gottschalk ritt durch eine Landschaft, bäum- und buschlos wie ein endloser Steinbruch. Felshügel, die nach der brüllenden Hitze des Tages im Nachtfrost wie unter Kanonenschüssen zerbarsten. Luft, die sich langsam zur Mittagszeit verflüssigte. Die ferne Gebirgskette verwackelt. Dabei war die Luft so trocken, daß Nägel platzten und Lippen aufsprangen.
    Was hatte er nur in dieser Steinwüste verloren?
    Er hatte sich freiwillig zu der Patrouille gemeldet, die den Weg zum Oranje aufklären sollte, dem einzigen Fluß im südlichen Schutzgebiet, der das ganze Jahr über Wasser führte. Dort unten, bei Ramansdrift, war vor sechzig Jahren das Schafsgesicht ins Land gekommen, in Jesuslatschen und barhäuptig, von den Hottentotten begeistert begrüßt ob seiner Ähnlichkeit mit dem Merinoschaf.
    Jetzt ritten sie, die Hand am Karabiner, und starrten mit verkniffenen Augen auf jeden Felsblock am Wege, auf jeden Hügel, hinter dern die Gebrüder Morris mit ihren Leuten liegen konnten.
    Warum war Gottschalk also mitgeritten? Er wollte den Oranje sehen. Er wollte endlich einmal einen Fluß sehen. Das schien ihm alles, und doch war da noch mehr. Es war die Sehnsucht nach dem Neuen, die aus seiner Kindheit zu kommen schien, nach einer Ferne; eine Neugierde, die alles Gewohnheitsmäßige, Erstarrte aufbrach, in der man sich plötzlich und überraschend als ein anderer wiederfand, in der die kühnsten Tagträume schaudervolles Leben annahmen, gewöhnliche Dinge sich jäh häuteten, fremd wurden und geheimnisvoll. Der Zimtgeruch im Laden seines Vaters. Zuweilen konnte Gottschalk nicht mehr verstehen, wie er die vergangenen Jahre in der drückenden Enge der Kaserne überhaupt hatte ertragen können, dieser schmutzigrote Backsteinbau, der dem städtischen Gefängnis ähnelte. Hier hingegen war Raum und nicht nur Platz, so weit die Ellenbogen reichten. Es war dieses Gefühl, das ihn auch den Grafen Kageneck verstehen ließ, der seinen letzten Heimaturlaub vorzeitig abgebrochen hatte und nach Warmbad, diesem letzten Kaff, zurückgekehrt war, zu seinen Schnapsbatterien im abgedunkelten Amtszimmer, seinem Königreich. (Der Graf wurde einige Jahre später auf Betreiben seiner Familie nach Windhuk versetzt, wo man ihn langsam wieder an europäische Umgangsformen gewöhnen wollte, bevor man ihn ins Reich zurückholte.) Sicherlich, Gottschalk hatte sich seine Zukunft in diesem Land etwas adretter vorgestellt: mit rotweiß gewürfelten Gardinen vor den Fenstern seines Farmhauses, mit weniger Alkohol und vor allem mit der abendlichen Hausmusik, wobei er das als Bild wie von außen sah, die erleuchteten Fenster und in der nächtlichen Stille (sogar die Zikaden waren verstummt) die Sonata ›La Buscha‹. Unabhängig und frei, ein ruhiges, behagliches Leben, durchaus arbeitsam. Wie man aus den Skizzen in seinem Tagebuch ersehen kann, waren zu dieser Zeit die Hütten seiner eingeborenen Arbeiter in die nächste Nähe seines Farmhauses gerückt. Ja es gab inzwischen ein kleines Gebäude, eine Schule, in der seine Kinder gemeinsam mit den Eingeborenenkindern unterrichtet werden sollten. Der Garten sollte mit verschiedenartigsten Laubbäumen, deren Samen Gottschalk aus Europa einführen wollte, bepflanzt werden, aber auch mit einigen Palmen. Er würde mit Hilfe windgetriebener Wasserpumpen eine buschiggrüne Insel inmitten der sonnenverbrannten steingrauen Landschaft anlegen. Hier, in der Nähe von ständig sprudelndem Wasser, im schattigen Geäst, könnten auch Singvögel nisten. Gottschalks Traum war es, die Nachtigall in diesem gesanglosen Land heimisch zu machen. Hatte er erst einmal Land gefunden, das nötige Geld gespart, wollte er sich zwei oder drei Nachtigallenpärchen in einem großen Käfig schicken lassen.
    Was

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